Kunst-Anstalten
Frankreich.
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sterschaft nach selbständiger Wahl und selbständigem Urtheil sich entfal-
ten sollte, plötzlich eine grosse Strenge, eine Reihenfolge genauer Vor-
schriften, ein schulmässiges Ueberwachen der Thätigkeit ein. Das Alter
der Pensionairs ist dasjenige, in welchem der Genius der Kraft seiner
Schwingen sich bewusst wird, in welchem ein kühner, gelegentlich die
Schranken selbst überstürzender Flug verstattet sein muss, und gerade
jetzt sollen sie anfangen, nach vorgezeichneten, wohl abgemesseuen
Regeln zu schaffen, den eignen Drang der fremden Vorschrift unterzu-
ordnen. In ein halb klösterliches Leben sollen sie sich filgen, an den
einen bestimmten Ort, an Tag und Stunde gebunden sein, auch zugleich
sorgfaltigst Buch und Rechnung führen, um mit der, gewiss nur geringen
Summe von 240 Thalern (900 Francs) für alle diejenigen Bedürfnisse, für
die die Anstalt nicht unmittelbar sorgt, auszukommen. Und bei alledem
ist, wie man mir sagte, die Stellung des Direktors der Acadämie de France
im Verhältniss zu den Pensionairen kcinesweges wiederum die vertrautere
eines Atelier-Vorstandes: im Gegentheil sind die jungen Künstler, die
ihre Vorschriften aus der Ferne, von der Pariser Akademie, empfangen,
für das Innere, Wesentliche des Kunstverständnisses wieder nur auf sich
und auf das, was ihnen etwa ein günstiger Zufall zufiihrt, angewiesen.
Der Direktor ist der Hauptsache nach nur Verwaltnngs-Chcf, und nur
wenn dies Amt durch eine künstlerisch so entschiedene und moralisch so
imponireude Persönlichkeit, wie mir namentlich von Ingres berichtet wurde,
verwaltet wird, soll sich naturgemäss auch ein tieferer, mehr auf das In-
nere wirkender Einfluss von seiner Seite zeigen.
Die ganze Art und Weise, wie in Frankreich von Staats wegen und
in Privat-Schulen für die Ausbildung der jungen Künstler gesorgt wird,
dürfte sich hienach nicht al in vorzüglichem Grade nachahmungswilrdig
herausstellen, auch wenn wir für den Moment den deutschen Standpunkt
verlassen und uns auf den französischen begeben, von welchem aus we-
nigstens Jenes gesammte Concurrenzwesen, das der französischen National-
leidenschaft der Gloire so mächtig entspricht, allerdings von grosser Be-
deutung ist. Vor allen Dingen sind diese Verhältnisse, auch den stets
treibenden Stachel der Concurrenzen mit eingeschlossen, nicht geeignet, so
grosse und überraschend ausgezeichnete Erscheinungen, wie sie die fran-
zösische Kunst des heutigen Tages in Mitten all der Wirrnisse der grösseren
Künstlermasse wirklich besitzt, zu erklären. Die Gründe für die letzteren
werden auf andrer Seite zu suchen sein.
Die
Kunst
in
Frankreich
als Bedürfniss
des
Staates
und
der Nation.
Wenn ich bei meinen Beobachtungen nicht gänzlich fehlgegritfen habe,
so beruht der in neuerer Zeit erfolgte und zum Theil doch so glänzende
Aufschwung der französischen Kunst darin, dass die Kunst in Frankreich
als ein Bedürfniss des Staates und der Nation anerkannt ist und demge-
mäss behandelt wird. Bei Regierenden wie bei Regierten scheint die Ein-
sieht oder doch das Gefühl vorhanden, dass die Kunst ein nothwendiges
Glied in der Kette des öffentlichen Lebens sein müsse; König, Staats-
und Communalverwaltung wirken in gleicher Weise auf diesen Zweck hin.
Mag hiebci auch in der Ausführung des Einzelnen nicht immer das Reghlg
gegritfen werden, mögen sich fremdartige Einflüsse zum Nachthcil dessen,