Kunst-
Anstalten
in Frankreich.
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fricdigen können. Neben einzelnen Erscheinungen von grossartiger, alle
nationalen Schranken durchbrcchcnder Bedeutung, neben jener j-ügtigen
Praktik, die ein Erzeugniss umfassender und anhaltender Thätigkeit; zu
sein pflegt, tritt uns an den dortigen Kunstleistnngen gar manches Seltsame
und "Willkürliche, manches Conventionelle und äusserlich Angelernte ent-
gegen. Dennoch besitzen die Franzosen einen grossen Vorzug, der zunächst
anerkannt werden muss; sie haben das, was man im gemeinen Leben Ge-
schmack nennt. Die künstlerische Zierde, welche sie dem äussern Leben
geben, fügt sich demselben stets in mehr oder weniger harmonischer, ein-
schmeichelnder Weise. Es ist, wie launisch oft in der Gomposition, doch
stets ein sehr reizvolles Spiel, und mehr als das. Es ist der Ausdruck einer
freien heitern Naivetät, der sich die Mittel zur Darstellung überall mit
Leichtigkeit fügen. Mit andern Worten: die ornamentistisehe Kunst Frank-
reichs (die noch immer die Märkte beherrscht) ist desshalb so bedeutend,
weil sie aus einem selbständigen, sehr durchgebildeten Kunsthandwerk
hervorgeht. Der französische Kunsthandwerker ist im Allgemeinen kein
Copist, der mühselig dieser oder jener künstlerischen Vorschrift folgt und
dessen Werk, mag es ursprünglich auf noch so tiefer künstlerischer Grund-
lage beruhen, doch den Beschauer kalt lässt; er ist im Allgemeinen ent-
wickelt genug, um in seinem Fache selbständig künstlerisch schaffen oder
doch die etwa gegebene künstlerische Idee in seine eigene verwandeln zu
können. Sein Werk trägt mehr oder weniger das Gepräge freier Tha-
tigkeit.
Gewiss eine Folge dieses nationalen Verzuges, aber ebenso gewiss
auch der Grund zur Ausbildung und ferneren Erhaltung desselben ist die
Sorgfalt, mit welcher in Frankreich die künstlerische Bildung des Hand-
werkers betrieben wird. Ausschliesslich zu diesem Zweck sind in den
Städrtsen d? _Landes 50 bis 60 sogenannte Ecoles de dessin vorhanden, de-
Flcoles
de
dessin
Paris.
Zll
Paris besitzt eine Normalschule solcher Art unter dem Titel der "Itleole
royale et späeiale de dass-in et de mathdntatiqztes, appliquäc aux arte in-
dustriels." Diese Schule ist eine Staatsanstalt und wird der Hauptsache
nach aus Staatsfonds unterhalten; doch erfreut sie sich zugleich namhafter
königlicher Unterstützungen, wie es sich auch die Stadt angelegen sein
lässt, dieselbe durch Bewilligung reichlicher Mittel zu fördern. Ausge-
zeichete Männer sind aus ihr hervorgegangen, u. A. der berühmte Archi-
tekt Percier, der ihr in dankbarer Erinnerung ein ansehnliches Legat ver-
macht hat. Der Besuch der Schule (der wie bei den meisten übrigen
unentgeltlich ist) beläuft sich durchschnittlich auf 2000 Schüler. Der
Unterricht, dessen aussehliesslieher Zweck die "Anwendung der Kunst auf
das Gewerbe" ist, betrifft Figurem, Thier-, Ptlanzen- und Ornamentzeich-
nen, nach Vorlegeblättern und Modellen (bei den Pflanzen auch nach der
Natur); Modellirexi; Ornament-Composition; niedere Arithmetik und Geo-
metrie; beschreibende Geometrie, Statik, Constructionslehre. Elemente der
Architektur. Die Lokalität ist wohl eingerichtet; die Zeichnensäle haben,
für die Tagesstuuden, Oberlicht, welches von der Decke einfällt. In der