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Berichte,
Kritiken,
Erörterungen
sich fünf Stufen, und über diesen ein Piedestal, auf welchem die Säule
ruht. Der Schaft ist ein Monolith von Granit, ein wenig über 22 Fuss
hoch. Das Kapital von Marmor ist korinthischer Art. mit Adlern, dem
Symbol des prcussischen Wappens, auf den Seiten. Es trägt eine kolos-
sale Bronzestatue der Victoria, von Rauch, die, in der Linken den Palm-
zweig haltend, mit der Rechten den Siegeskranz gegen die Stadt erhebt.
Das Ganze hat vom Strassenptlaster eine Höhe von 58 Fnss; doch ist, um
dem Denkmal auch für den Standpunkt aus der Ferne eine möglichst
imposante Erscheinung zugverschaffen, der ganze Boden des Platzes bis
weit in die benachbarten Strassen hinein ansehnlich erhöht worden, was
nächst den mannigfachen Kanalbauten. die (lübei nöihig Würden, Wßhl der
vorzüglichste Grund war, wesshalb die Vollendung des Werkes sich so
lange hingezögert hat. Eine Inschrift findet sich an dem Monumente nicht
vor. Die Schleifarbeit des Granitschaftes ist in der Werkstatt des Bau-
raths Cantian erfolgt und giebt, ebenso wie die grosse Granitschale vor
dem Museum, ein merkwürdiges Beispiel von der Vollendung in dieser
Technik, die sich der alt-ägyptischen in der That zur Seite stellen kann.
Ausserdem dient das Denkmal zur wirksamen Dekoration der genannten
Gegend der Stadt, die in solchem Belange seither etwas stiefmütterlich
bedacht war; auch dürfte ein gefi-illigerer Neubau des Thores und seiner
mesquinen Seitengebäude, die jetzt zu dem Denkmal einen sehr auffälligen
Contrast bilden, die nächste Folge dieser ersten Verschönerung sein.
Betrachten wir das Denkmal aber mit künstlerischem Auge, so können
wir uns mit seiner Composition nicht sonderlich einverstanden erklären.
Abgesehen davon, dass die Säule über dem breiten und kahlen Unterbau
nothwendig dünn erscheint, dass die viereckigen Stufen mit der Rundforin
des Unterbaues nicht übereinstimmen wollen, dass der Säulenschaft un-
canellirt ist, mithin nicht lebendig aufwärts strebt, so ist die ganze Er-
scheinung der Säule unbefriedigend. Es fehlt ihr alle künstlerische
Selbständigkeit, Originalität und Energie. Es ist eine todte Nachahmung
antiker Säulenform , die doch nur ihre Bedeutung in der Säulen reihe,
unter dem gemeinsamen Gebälk und in dem Organismus eines grösseren
Ganzen, des Tempelgebäuties, hat. Hier fehlen diese Bedingungen, und
doch sind die Bezngnahmen darauf beibehalten, während umgekehrt auf
die in sich abgeschlossene Entwickelung, die eine isolirte Säule mit Noth-
Wendigkeit erfordert hätte, keine Rücksicht genommen ist. Besonders
unangenehm macht sich in diesem Betracht das Kapital, dessen Deckplatte
mit den Voluten darunter an den vorspringenden Ecken ganz so beibehal-
ten ist, wie es in andern Fällen durch einen darüber liegenden Architrav
nöthig gemacht wird; aber statt des Architravs sehen wir hier nur die
runde Bronzcbasis, auf der der eine Fuss der Victoria ruht, so dass gerade
an dem wichtigsten Punkte der architektonischen Entwickelung dem orga-
nischen Gefüge der vollständigste Querstrich gemacht wird. [leberhaupt
fehlt es an allem gegenseitigen Verhältniss, auch in den Maassen, zwischen
der Säule und der Statue. Wir hatten gehofft, dass unsre Architektur
sich endlich von jener todten und missverstandenen Nachahmung der An-
tike emancipiren würde; wir wollen auch diese Hoffnung noch nicht auf-
geben, müssen dabei aber sehr wünschen, dass dies Werk, dessen Com-
ponist uns unbekannt ist, nicht als Beleg für die neuere Richtung unsrer
Architektur gelten möge.
Im Uebrigen concentrirt sich die künstlerische Thätigkeit an öffent-