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lch meine indess mit der Rechtfertigung der Gegenstände. die die
Bilder behandeln, und der Art und Weise, wie dieselben aufgefasst sind,
doch noch nicht Genügendes gesagt zu haben; die Bilder könnten dabei
dennoch ziemlich wirkungslos bleiben. Was ihnen die eigentlich künst-
lerische Bedeutung giebt, das ist die frische Energie, mit der die also
aufgefassten Gegenstände ins Leben treten. Es ist in diesen Gestalten,
im Gegensatz gegen so manch ein conventionelles Scheinleben, das zu
bewundern man uns nöthigen will. eine Kraft der Existenz, eine Fülle
des Daseins, der sich nur ein blöder Sinn verschliessen könnte; 68 iSt in
ihnen, zum grösseren Theile wenigstens, eine Haltung und Gemcsscnheit, die
uns nothwendig mit Ehrfurcht erfüllen muss; es ist ihnen ein Gepräge
nationalen Gemeingefühles aufgedrückt, das unser Publikum fast mit einer
Art Verwunderung ansah und aus dessen Einwirkung ich mir vorzugs-
weise den lebhaften Enthusiasmus, der den Bildern aller Orten zu Theil
ward, erkläre; es ist in ihnen in der Gesammtheit des Gallaißschen
Bildes und wenigstens in einzelnen Partieeu des von de Biefve eine
Würde und Feier des malerischen Styles, welche den Eindruck auf wohl-
thätige Weise zu einem gerundeten und abgeschlossenen macht. Ich
denke, wir haben die Gültigkeit dieses malerischen Styles ganz in glei-
chem Maasse anzuerkennen wie die des linearen; ebenso, wie in der
Musik das Gesetz der harmonischen Durchbildung dieselbe Bedeutung hat,
wie das der melodischen Durchbildung; wobei es sich aber freilich von
selbst versteht, dass die gleichmässige lüntwickeltrng beider Elemente auf
eine noch höhere Stufe der Vollendung führen muss.
Ich muss bekennen, ich verstehe Sie nicht, wenn Sie dennoch für die
historische Auffassung in diesen Bildern "nicht weniger als Alles" ver-
missen. Sie stossen sich an dem Bestreben nach möglichst getreuer Ver-
wirklichung, als ob das nicht. unbedingt das Streben des Künstlers sein
müsste, unbeschadet anderweitiger Anfordernisse, die allerdings an ein
Kunstwerk zu 1113611611 Sind, und als ob es nicht, bis auf-gewisse 'l'heorieen
der modernen Zeit, das Streben aller Kunst gewesen wäre! Hat denn der
Künstler ein andres Mittel zur Darstellung seiner Ideen, als die Natur?
und ist es nur denkbar, dass ein freier Geist durch möglichst vollkom-
mene Ausbildung dieses Mittels, das, je mehr ausgebildet, auch um so
reichhaltiger wird, nur irgend beschränkt werden könnte? Ich breche ab,
um den nutzlosen Streit nicht noch weiter fortzusetzen. So lasse ich auch,
was Hr. v. Quandt im Gegensatz gegen den belgischen Realismus über die
„von poetischen oder religiösen Ideen belebte Kunst" und über die vwahr-
haft ästhetische und wahre Freiheit des Geistes" sagt, zu welcher dieselbe
emporsteige, unberührt und frage nur, wo wir denn eigentlich die Poesie
zu suchen haben? Ich wüsste kaum irgendwo mehr Poesie zu finden, als
in dem glorreichen Freiheitsringen der Niederländer.
lch darf hoffen, lieber Freund, dass Sie mich für keinen Verächter
unsrer deutschen Kunst halten. Wir hatten auf unsrer Berliner Herbst-
ausstellung, neben manchen andern, ein hohes und sehr charakteristisches
Meisterwerk deutscher Kunst gleich zur Hand, Lessings Huss. In die-
sem Bilde sahen wir eine Tiefe der psychologischen Durchdringung, die
immer und immer wieder unsre Theilnahme in Anspruch nehmen musste,
eine Feinheit der Individualisirung, die das Beste, was die beiden bel-
gischen Bilder in solcher Art darboten, bei Weitem übertraf. Und den-
noch es fehlte dem ganzen Bilde des lluss jenes Mark des Lebens, wo-