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Berichte:
Kritiken,
Plrörterungexl
Ceremonienbildern Ihres I-Iofgartens? oder hätte der Künstler den grossen
Gesammteindruck etwa durch diese oder jene Episode schwächen sollen?
Der Inhalt des Bildes von de Biefve steht mit dem des Bildes von
Gallait in nahem Zusammenhange; die Geschichte ist fortgeschritten, und
der erste entschiedene Moment des nothwendigen Widcrspruches zwischen
Philipp und Oranien, zwischen spanischer Tyrannei und niederländischem
Freiheitsgefühl, wird uns gegcnübergeführt. Es ist die Versammlung der
niederländischen Edlen im Kuylenburgschen Palast zu Brüssel und die Un-
terschrift des Compromisses, wodurch sie gegen religiösen und politischen
Druck offnen Protest einlegten. Aber Sie sagen: wie kann man aus dem
Papier, das von Einem unterschrieben wird, von Andern unterrschrieben
ist und von Vielen erst unterschrieben werden soll, den Inhalt des Ge-
schriebenen oder zu Schreibenden ermessen? und könnte die Versamm-
lung, statt z. B. gegen die Inquisition, nicht etwa gerade für dieselbe sich
vereinigt haben? Ich frage Sie mit demselben Recht: kann man aus dem
Papier, welches der Priester in Raphaels Messe von Bolsena in den Hän-
den hält, etwa auf das Wunder der blutenden Ilostie und auf dessen Be_
deutung für die mittelalterlich-katholische Kirche, was doch den Inhalt
des Bildes ausmacht, schliessen? Wir haben auch hier die historische
Voraussetzung zugegeben. Wir müssen es wissen, dass die Urlterschrift
des Compromisses einer der wichtigsten Schritte in der Befreiung der
Niederlande war; aber wiederum ist sie, wie die, Abdankung Karls, nur
das äussere, zufällige Vehikel, um die Bedeutung der Zeit in diesem
Bilde die ernste Bereitung zur That zur Erscheinung zu bringen. Hier
hat Herr v. Quandt, sehr abweichend von Ihnen und selbst freilich auch
nicht ohne allerhand Clauseln, doch sehr richtig bemerkt: .,Es ist in die-
sem Bilde durchaus die Idee des Volkswillens gegenwärtigft Das ist es,
worauf es in dem ganzen Bilde ankam, und was de Biefve, obwohl nicht
ganz frei von Mängeln der Anordnung, doch in sehr überlegter, klarer Ab-
stufung und in meisterhafter Bewegung dargelegt hat: das zum Bewusstsein
seiner Würde, seiner Freiheit erwachende Volk. Herr v. Quandt bemerkt
übrigens zugleich als einen Tadel, dass der Maler die historisch merk-
würdigsten Personen abgesondert von den Uebrigen in den Vorgrund des
Bildes gebracht habe, und dass es ihm somit mehr am geschichtlichen
Detail als an der das Ganze durchdringenden Idee gelegen habe. Die Ant-
wort darauf giebt auch wieder die Geschichte. Die merkwürdigsten Per-
sonen waren die Vornehmsten, deren Vorangang man wünschte, denen
man somit natürlich auch den ersten Platz zur Unterschrift in der Nähe
des Tisches, der eben im Vorgrund des Bildes steht überliess; sie waren
aber zugleich auch die Bedächtigeren, denen die heftigere Bewegung der
niedern Edelleute nicht ganz genehm war und die sich somit absichtlich
ein wenig abgesondert hielten. Oder soll die Geschichte wieder zu Gun-
sten eines beliebigen Gesetzes für künstlerische Composition gemodelt und
die schärfere historische Charakteristik einem zweideutigen Erfolge aufge-
opfert werden?
Ich muss bedauern, dass wir in Deutschland nicht auch das dritte
von den Bildern des Brüsseler Palais de la nation, den heldenmüthigen,
aufopfernden Kampf für die Freiheit, in der Darstellung der Belagerung
Leydens von Wappers, kennen gelernt haben. Die innere Bedeutung dieser
Bilder in ihrem gegenseitigen Zusammenhange würde uns dann vermuth-
lieh noch wirkungsreicher entgegen getreten sein.