Sendschreiben
Herrn
Ernst Förster
München an
403
Gallait hat die Abdankung Kaiser Karls V. gemalt. Sie sagen und
scheinbar mit Recht man sehe in dem Bilde nichts davon; der Künst-
ler hätte nicht den von ihm dargestellten Moment, sondern einen andern
wählen sollen, durch den die That des Abdankens deutlicher werden,
durch den somit die Person des Kaisers wirkungsreicher hervortreten würde,
Sie verlangen zugleich, dass statt des vor Seelen- und Altersschwäche
zerfallenden Kaisers hier der Ausdruck „eines durch das Bewusstsein kai-
serlicher Macht starken und durch religiöse Bewegungen grossen Geistes"
erscheinen sollte. Herr v. Quandt stimmt Ihnen darin mit andern, noch
mehr poetischen Ausdrücken bei. Beiläufig bemerkt, ist dies letztere Be-
gehren schon ganz unstatthaft. Wenn Sie die Historiker, und namentlich
unsre gründlichen neueren Forscher, etwa Ranke, nachschlagen, so werden
Sie finden, dass Karl eben gar nicht in wundersam idealer Resignation,
sondern ganz anders, den Körper von Krankheit verzehrt und die Seele
mit iinstrer Hypochondrie belastet, mit Vernichtung seiner schönsten Pläne
und ohne Mittel, neue durchzuführen, weil der Staatshankerott vor der
Thür war, vom Thron in das Kloster ging. Hatte Gallait also, wie Herr
v.Quandt will, einen "über die irdische Herrlichkeit sich erhebenden Charak-
ter" malen wollen, so hätte er ihn irgendwo anders suchen müssen; und hätte
er seinen Kaiser, nach dem bekannten Pictoribus atqzte poetis etc, den-
noch zu einem solchen Charakter umgeprägt. so hätte er die Bedeutung
seines Bildes einfach verfehlt. Denn das Wort "Abdankung" ist nur ein
äusscrer Titel für das Bild, und der Kaiser nicht dessen Hauptperson. In
Welßhü Form Karl vom Schauplatze abtrat, mag fast gleichgültig erschei-
nen, wenn man im Sinne des Niederländers die Folgen erwägt, die sich
daran anschlossen. Die Abdankung ist der grosse Wendepunkt in der
niederlänrhschen Geschichte, und dies ist es, was uns Gallait in den Haupt-
Persone" 53911198 Bildes so unnachahmlich meisterhaft andeutet. Die Ge-
stalten seiner beiden Lieblinge, die der an Körper und Geist zel-fallene
Kaiser den Versammelten zur Schau stellt, lassen uns die ganze nächste
Zukunft der niederländischen Geschichte erkennen: Philipp, der bigott und
in steifer Förmlichkeit, den Rücken gegen das Volk gewandt, welches ihm
huldigen soll, vor dem Vater kniet, und Oranien, der "Schweiger", in
hohem männlichem Adel vor dem Kaiser stehend, und zugleich in jener
verschlossenen Besonnenheit und in jener Festigkeit, die ihn zum Helden
des Volkes machen musste. Auch des Kaisers Schwester, Maria von Un-
garn, die unbeweglich zur Seite der Gruppe sitzt, trägt wesentlich dazu
bei, das Charakteristische des Momentes zu erhöhen. Man muss es freilich
wissen, dass sie bisher die Statthalterschaft der Niederlande. und zwar
mit Milde, geführt hat; tief in sich versunken, einer greisen Nonne nicht
unähnlich, scheint sie die Schauer der Zukunft zu empfinden, die bei dem
bedeutungsschweren Wechsel der Herrschaft in ihr emporsteigen mussten.
Und über die ganze zahlreiche Versammlung, welche den Thron umgiebt,
waltet ein ähnlich ernstes, zurückgehaltenes Gefühl, das, bei der Energie,
mit der die Gestalten aus der Leinwand hervortreten, sich des Beschauers
bemäclitigt. Wie Sie aber von den Personen dieser Versammlung, deren
Dasein durch die blosse Gegenwart bei dem vorgestellten Momente aufs
Vollständigste gerechtfertigt wird, deren Dasein eben diesem Momente erst
seine Bedeutung giebt, noch eine besondre Handlung verlangen können,
sehe ich nicht wohl ein. Finden Sie dergleichen etwa in den historischen