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Ueber
Systeme
die
Kimhenbaues.
des
Umbildung des Basilikenbaues geltend, und zwar eine so folgenreiche,
dass durch sie ein wesentlich neues architektonisches System hervorgerufen
ward, Dies war die Anwendung des Gewölbs zur Ueberdeckung der
Räume, und zwar einer eigenthümlich gegliederten und bewegten Form
des Gewölbes. In gemessenen Abständen spannte man mächtige Querbögen
wie solche schon an den ilachgedeckten Basiliken in der Durchschnei-
dung von Quer- und Langschiff erschienen waren von der einen Wand
des Schiffes zu der andern hinüber und füllte den Raum dazwischen durch
Kreuzgewölbe aus, die, von jenen Querbögen getragen, sich zugleich selbst
in gegenseitiger elastischer Spannung hielten. In stetem Wechel der Theile,
stets die eine Bewegung an die andre knüpfend, leiteten diese Formen den
Blick zugleich aufwärts und vorwärts. So war der Decke ihre Starrhcit
genommen, waren die Seiten des Gebäudes mit einander in unmittelbare
Verbindung gesetzt, war der Raum nach oben hin auf eine feierliche und
zugleich lebenvolle Weise erhoben. Aber man begnügte sich nicht. diese
Veränderung der inneren Einrichtung nur ausschliesslich an der Decke
vorzunehmen; man sah sich zugleich genöthigt, mit ihren Formen auch
die der übrigen Architekturtheile in ein unmittelbares, harmonisches Ver-
hältniss zu setzen. Die grössere Last" der gewölbten Decke machte es jetzt
nöthig, dass fast ausschliesslich Pfeilerstellungen (statt der Säulenstel-
lungen) zum Tragen der Oberwände des Mittelschiifes angewandt wurden.
Aus der Masse des Pfeilers aber traten nunmehr lebendig organische Glie-
derungen, Pilasterstreifen und vornehmlich Halbsäulen, hervor; diese
führte man an dem Pfeiler und an der Wand über ihm aufwärts und liess
von ihnen jene Bögen des Gewölbes ausgehen. So erhielt die starre Masse
des Pfeilers die Andeutung eines organischen Lebens; so wurde diese
lebenvolle Form auch über die sonst ebenfalls starre Masse der Wand
emporgezogen; so trat sie in unmittelbare Verbindung mit der lebendigen
Bogenform des Gewölbes. Es war die Andeutung einer gleichmässigen
Lebenskraft, welche, vom Boden emporsteigend, an Pfeilerstellungen und
Wänden aufwärts drang und in dem Gewölbe ihren majestätisch erhabenen,
in sich ausgerundeten Schluss erhielt. Dies System der gewölbten Basi-
lika wurde auf die mannigfaltigste und verschiedenartigste Weise durch-
gebildet. Je nachdem die Pfeiler eine reichere oder eine geringere
Gliederung erhielten, je nachdem in Folge dessen etwa auch die Bögen
der Pfeilerstellungen und die des Gewölbes gegliedert wurden, je nachdem
man an den Oberwänden selbst Abtheilungen der einen oder andern Art
anordnete (z. B. grössere oder kleinere Gallerieen über den Pfeilerstellun-
gen), je nachdem man endlich die Formen der Gliederungen an sich stren-
ger oder in weicherer Fülle bildete und mit ihnen ein reicheres oder ein
bescheidneres Ornament verband, mussten sich tausend Unterarten des
Systemes bilden. Ich nenne hier nur ein Beispiel, in welchem die Be-
handlung der Formen zwar schwer und streng, selbst trocken erscheint, in
welchem aber das (irundprincip der Anordnung eine so klare und gemes-
sene Würde hat, wie kaum an irgend einem andern Bauwerke der Zeit.
Es ist dies das Innere des Domes von Speyer. (Ansicht N0. 4.)
Man benennt den architektonischen Styl, nach welchem in diesen Früh-
epochen des Mittelalters die Formen gebildet werden, gewöhnlich, mit einem
unpassenden Namen, als den .,byzantinischen Styl"; man hat neuerlich
statt dessen den passenderen Namen des "romanischen" Styles eingeführt.
Auf ihn folgt im Laufe des dreizehnten Jahrhunderts der sogenannte