Ueber
Systeme
die
de; Kir:
rhenbaues.
387
mancher charakteristischen Parallele mit der politisch-historisehen Ent-
wickelung der Völker führt, zwischen den beiden extremen Richtungen,
meine ich, liegt aber noch eine dritte mitten inne; sie sucht das Richtige,
das in jenen beiden enthalten ist, aufzufassen. das Unrichtige zu vermei-
den. Sie erkennt es an, dass die allgemeinen architektonischen Principien,
die räumlichen Gesetze, aus denen die Bildung der architektonischen For-
men hervorgehen muss, in der Aufeinanderfolge der architektonischen
Systeme eine positive Gestalt gewonnen ltaben; sie sieht es ein, dass darin
etwas Natnrnothwendiges, etwas innerlich Gültiges ist. Sie bemüht sich,
dies Naturnothwendige im Gegensatz gegen die lokalen und hISlOTlSChCYI
Besonderheiten oder Zufälligkeiten zu fassen und sich zu eigen zu
machen. In der That dürfte unter allen Architektursystemen. die im Ver-
lauf der Geschichte aufgetreten sind, keins vorhanden sein, keines uns so
abstrus erscheinen, dass wir nicht daraus, sogar im ästhetischen Sinne,
lernen könnten; selbst der lastende Felsenbau des alten Hindostan, selbst
das luftige Rococo der Chinesen enthält Elemente, die unsrer eignen archi-
tektonischen Thätigkeit förderlich sein können. Dann aber wird es, statt
die einzelnen Vorbilder nachzuahmen, vielmehr darauf ankommen, dass
jene Grundelemente nach unsrer eignen Gefiihlsweise dnrchgebildet wer-
den. S0 ist eine sichere historische Basis gewonnen, ohne dass man be-
fürchten darf, durch deren Benutzung sofort zum Nachtreter derVergangen-
heit zu werden; so steht dem Architekten die selbständige, der eignen
Sinnesrichtung angemessne Weise der Gestaltung frei, ohne dass dieser die
innere Consequenz fehlte, ohne dass sie wie ein Willkürliches Phantasie-
spiel in der Luft hinge.
Ist diese dritte Richtung, die zwischen den beiden Extremen in der
Mitte steht, überhaupt die richtige, so gewinnen wir, wie es scheint, zu-
gleich den Gesichtspunkt, um die Wünsche und Bestrebungen zur tlerstel-
lnng kirchlicher Gebäude, welche dem Geiste unsrer Zeit entsprechend
wären, in angemessener Weise auffassen zu können. Allerdings zwar nur
den Gesichtspunkt für das, was die Grundlage dieser Bestrebungen
ausmachen wird; denn derjenige Theil der künstlerischen Thätigkeit, der
in der selbständigen Acusserung des künstlerischen Genies beruhen muss,
kann immer nur in (liesem allein seinen Maassstab finden. Gleichwohl
ist durch die Feststellung der Grundlage schon höchst Wesentliches ge-
wonnen. Auch liegt dazu ein so überaus reiches Material vor, dass es
gedankenlos wäre, sich der höchst mannigfaltigen Belehrung, welche das-
selbe darbietot, ohne Noth zu entschlagen. Eine lange Reihe von Jahr-
hunderten hindurch sind die Völker Europa's bemüht gewesen, das Ge-
bäude, welches zur Versammlung der kirchlichen Gemeinde dienen, dessen
Erscheinung den Geist der Gemeinde zur erhabensten Stimmung und
Sammlung wecken soll, auf die möglichst würdige Weise zu gestalten;
sie haben nicht bloss dahin gestrebt, diesem Gebäude das Gepräge ihrer
Zeit, ihrer Nationalität aufzudrüeken, sondern zugleich auch, das in seiner
inneren Bedeutung ruhende Gesetz seiner Erscheinung auf mannigfaltige.
wo möglich auf eine stets mehr entwickelte Weise durchzubilden. Für
die Betrachtung der vorzüglichst charakteristischen Formen, welche dabei
hervorgetreten sind, wollte ich mir für einige Augenblicke die Aufmerk-
samkeit der hochgeehrten Versammlung erbitten.
Ich muss indess noch eine allgemeine Bemerkung voranschiclteti. S0
hößhst verschiedenartig, so vielgeglicdert die architektonischen Systeme