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die
Systeme
des
rohe:
lbanes.
gemacht, wenigstens Versuche aufgestellt worden, um kirchliche Gebäude
zu schaffen, die den geistigen Bedürfnissen unsrer Zeit gcmäss wären.
Namentlich in der jüngsten Zeit sind sehr bcachtcnsiverthe Arbeiten der
Art unternommen worden. Der (iegenstand ist wichtig genug, um ihm
einige nähere Aufmerksamkeit zuzuwenden.
Die architektonische Production scheidet sich, ihrer Absicht nach, zu-
nächst in zwei, einander entgegengesetzte Richtungen. Die eine Richtung
betrachtet das, was in früheren Zeiten geschaffen ist, als ein entschieden
Abgeschlossenes und Fremdes; sie will darauf nicht eingehen, sie will nur
aus sich herausschaffen. Nur auf der einen Seite das eigne subjece
tive Gefühl. nur auf der andern die materiellen Bedingnisse (der
Räumlichkeit, die geschaffen werden soll, der Fügung und Zusammensetzung
des Baumatcrials u. s. nur dies soll ihr den Maassstab geben. Sie
will durchaus selbständig dastehen, nach selbstcrfundenen Gesetzen thä-
iig sein. Ihre Principien klingen so. als 0b sie ganz das aussprächen,
was das Bedürfniss unsrer Zeit ist; und dennoch rufen sie, ausschlicsslich
befolgt, ein lebhaftes Bedenken hervor. Die architektonischen Werke, die
in früheren Jahrhunderten undJahrtauscnden geschaffen sind, tragen aller-
dings das entschiedene Gepräge von Zeit und Volk, dem sie angehören;
sie stehen uns insofern allerdings als ein Fremdartiges gegenüber. Zugleich
aber offenbaren sich in ihnen die allgemeinen Gesetze der Architektur, die
allgemeinen Principien ihrer Formen, und zugleich kündigt sich in der
historischen Aufeinanderfolge der architektonischen Systeme die fortschrei-
lendc Entwickelung dieser Gesetze und Principien an. Die Architekten,
die lediglich nur nach ihrem eignen Sinne schaffen, vermessen sich, das
grosse Resultat, an dessen Erfüllung Jahrtausende gearbeitet haben, durch
ein rasches Phantasiespiel ersetzen zu wollen.
Die andre Hauptrichtung der architektonischen Production befolgt den
entgegengesetzten Weg. Sie will kein System schaffen, sondern nur nach den
Gesetzen eines schon vorhandenen arbeiten, je nachdem sie in demselben
die höchst mögliche Vollendung, die von menschlichen Kräften erreicht
werden kann, bereits entwickelt findet. Sie meint, dass die Anwendung
des erwithlten Systems auf die Verhältnisse und Bedürfnisse der Gegen-
wart der künstlerischen Kraft hinlänglich freien Spielraum gewähre. Sie
erwählt sich ein einzelnes System, etwa das griechische, um bei demselben
unwandelbar zu verharren, oder sie geht von einem Systeme zu dem an-
dern über, je nach dem Charakter der gestellten Aufgabe, indem sie
z. B. die Halle eines 'l'heaters im griechischen, das Gebäude der Kirche
im gothischenStyle baut, u. s. w. Solchem Bestreben indess ist jenes Andre
entgegenzusetzen: dass die architektonischen Systeme, bei aller Gültigkeit
ihrer Principien im Allgemeinen, doch eben durch den Charakter von
Zeit und Ort überall bedingt waren, dass die Art und Weise ihrer Er-
scheinung von Einflüssen abhängig war, deren Gültigkeit auch für die
heutige Zeit wir nicht mehr annehmen dürfen. ln diese äusseren Elemente
des Styles wissen wir uns, was sehr begreiflich ist. zumeist nicht mehr
recht hiueinzufinden; wir wissen uns dabei zugleich unsrer subjectiven
Auffassungsweise nicht genügend zu entäussern, und so hat selbst die
Nachahmung auch nur überaus selten das Verdienst vollkommener Reinheit.
Zwischen den beiden extremen Richtungen der architektonischen Pro-
duction sie stehen den Extremen der politischen Theorie ungefähr
parallel, wie überhaupt die geschichtliche Betrachtung der Architektur zu