Volltext: Kleine Schriften über neuere Kunst und deren Angelegenheiten (Bd. 3)

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die 
Systeme 
des 
rohe: 
lbanes. 
gemacht, wenigstens Versuche aufgestellt worden, um kirchliche Gebäude 
zu schaffen, die den geistigen Bedürfnissen unsrer Zeit gcmäss wären. 
Namentlich in der jüngsten Zeit sind sehr bcachtcnsiverthe Arbeiten der 
Art unternommen worden. Der (iegenstand ist wichtig genug, um ihm 
einige nähere Aufmerksamkeit zuzuwenden. 
Die architektonische Production scheidet sich, ihrer Absicht nach, zu- 
nächst in zwei, einander entgegengesetzte Richtungen. Die eine Richtung 
betrachtet das, was in früheren Zeiten geschaffen ist, als ein entschieden 
Abgeschlossenes und Fremdes; sie will darauf nicht eingehen, sie will nur 
aus sich herausschaffen. Nur  auf der einen Seite  das eigne subjece 
tive Gefühl. nur  auf der andern  die materiellen Bedingnisse (der 
Räumlichkeit, die geschaffen werden soll, der Fügung und Zusammensetzung 
des Baumatcrials u. s.  nur dies soll ihr den Maassstab geben. Sie 
will durchaus selbständig dastehen, nach selbstcrfundenen Gesetzen thä- 
iig sein. Ihre Principien klingen so. als 0b sie ganz das aussprächen, 
was das Bedürfniss unsrer Zeit ist; und dennoch rufen sie, ausschlicsslich 
befolgt, ein lebhaftes Bedenken hervor. Die architektonischen Werke, die 
in früheren Jahrhunderten undJahrtauscnden geschaffen sind, tragen aller- 
dings das entschiedene Gepräge von Zeit und Volk, dem sie angehören; 
sie stehen uns insofern allerdings als ein Fremdartiges gegenüber. Zugleich 
aber offenbaren sich in ihnen die allgemeinen Gesetze der Architektur, die 
allgemeinen Principien ihrer Formen, und zugleich kündigt sich in der 
historischen Aufeinanderfolge der architektonischen Systeme die fortschrei- 
lendc Entwickelung dieser Gesetze und Principien an. Die Architekten, 
die lediglich nur nach ihrem eignen Sinne schaffen, vermessen sich, das 
grosse Resultat, an dessen Erfüllung Jahrtausende gearbeitet haben, durch 
ein rasches Phantasiespiel ersetzen zu wollen. 
Die andre Hauptrichtung der architektonischen Production befolgt den 
entgegengesetzten Weg. Sie will kein System schaffen, sondern nur nach den 
Gesetzen eines schon vorhandenen arbeiten, je nachdem sie in demselben 
die höchst mögliche Vollendung, die von menschlichen Kräften erreicht 
werden kann, bereits entwickelt findet. Sie meint, dass die Anwendung 
des erwithlten Systems auf die Verhältnisse und Bedürfnisse der Gegen- 
wart der künstlerischen Kraft hinlänglich freien Spielraum gewähre. Sie 
erwählt sich ein einzelnes System, etwa das griechische, um bei demselben 
unwandelbar zu verharren, oder sie geht von einem Systeme zu dem an- 
dern über, je nach dem Charakter der gestellten Aufgabe, indem sie 
z. B. die Halle eines 'l'heaters im griechischen, das Gebäude der Kirche 
im gothischenStyle baut, u. s. w. Solchem Bestreben indess ist jenes Andre 
entgegenzusetzen: dass die architektonischen Systeme, bei aller Gültigkeit 
ihrer Principien im Allgemeinen, doch eben durch den Charakter von 
Zeit und Ort überall bedingt waren, dass die Art und Weise ihrer Er- 
scheinung von Einflüssen abhängig war, deren Gültigkeit auch für die 
heutige Zeit wir nicht mehr annehmen dürfen. ln diese äusseren Elemente 
des Styles wissen wir uns, was sehr begreiflich ist. zumeist nicht mehr 
recht hiueinzufinden; wir wissen uns dabei zugleich unsrer subjectiven 
Auffassungsweise nicht genügend zu entäussern, und so hat selbst die 
Nachahmung auch nur überaus selten das Verdienst vollkommener Reinheit. 
Zwischen den beiden extremen Richtungen der architektonischen Pro- 
duction  sie stehen den Extremen der politischen Theorie ungefähr 
parallel, wie überhaupt die geschichtliche Betrachtung der Architektur zu
	        
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