Vorlesung
über
die
SYSTEME
"D ES
KIRCHENBAUES,
gehalten
am
März
1843
im
wissenschaftlichen
Verein
Zll
Berlin.
Mit
sieben
Abbildungen
auf einer
Tafel
Es ist in unsern Tagen, und schon seit Jahren, mancherlei über den
Bau von Kirchen gesprochen und geschrieben. Man hat es, nicht ohne
Beschämung, bemerkt, dass es den kirchlichen Gebäuden unsrer Zeit an
einem eigenthümliehen Style fehle, dass die höchsten geistigen Strebungen
der Gegenwart noch nicht dasjenige Selbstbewusstsein, diejenige Bestimmt-
heit und Festigkeit erlangt haben, deren es bedarf, um sich sofort in künst-
lerisch gemessener Weise verkörpern, als ein Anschaubares dem Sinn und
Gemilthe des Volkes mit nachhaltiger Wirkung gegenübertreten, in monu-
mentaler Besehlossenheit ein stetes Dasein bewahren zu können. Die
heiligen Gebäude aus allen früheren Epochen der Geschichte erscheinen
uns als lebendige und sprechende Zeugnisse des Geistes, des Getiihlsver-
mögens, das die Völker, von denen sie errichtet wurden, beseelte; zu
allen Zeiten hatte man die Form gefunden, die der geistigen Bewegung
zum Ausdruck diente; nur in der neueren Zeit, nur in der Gegenwart
fehlt diese Form.
Die Geschichte will uns dieses Mangels wegen trösten; sie heisst
uns das endliche Ziel der Bewegungen, welche die Geister der neueren
Zeit erfüllen, abwarten: die Form werde sich dann von selbst finden. Von
Seiten der Philosophie sind Stimmen laut geworden, welche sich ver-
nehmen liessen: es bedürfe dieses Trostes nicht; die Entwickelung unsrer
Zeit sei bis zu einem Maasse gediehen, dass ihr die Form überhaupt nicht
mehr genügen könne. Die Kunst will sich mit solchen Ansichten nicht
ganz einverstanden erklären; sie meint, dass das Formloseelne zweifel-
hafte Existenz habe; sie meint, es gezieme ihr, in den Entwlflkelllngsgarlg
der Zeit mit einzugreifen, dahin mitzuarbeiten, dass die Idee SlCh zur leben-
digen Gestalt verkörpere. Von Seiten der Kunst sind wenigstens Vorschläge
Kugler, Kleine Schriften. lll. 25