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Berichte
Kritiken.
und
nicht zu einer klaren Anschauung seiner eigentlichen Bedeutung überzn-
gehen im Stande war, dass der Zeichnenunterricht somit nicht mit genü-
gender Consequenz in den Plan des übrigen Schulunterrichtes verflochten.
dass er mehr nur als eine Nebensache behandelt, dass er mit grösserei-
Willkür und ohne sonderliche Rücksicht auf die in ihm selbst liegende
Consequenz eingerichtet wurde. Und doch ist es nöthig, gerade auf diese
Punkte mit grösster Bestimmtheit einzugehen, wenn anders ganz abge-
sehen von den praktischen Fördernissen, zu denen dieser Unterricht führt.
Hand, Auge, Sinn, Phantasie und Geist denjenigen Gewinn, zu dessen
Entwickelung gerade er so mannigfache und so fruchtbare Gelegenheit
giebt, erlangen sollen.
Die in der Ueberschrift genannte Broehüre behandelt diesen Gegen-
stand, und zwar in einer Weise, dass sie unbedenklich auf die lebendigste
Beachtung Anspruch hat. Der Verfasser hat den Gegenstand noch enger
eingeschlossen, indem er sein Augenmerk, wie der Titel besagt, zunächst
nur auf den Zeichnenuntcrricht in 'l'öchterschulen richtet. Diese engere
Betrachtung ist insofern nicht ohne Wichtigkeit, als jene Uebelstände und
ihre Folgen hier ganz besonders in Betracht kommen; der Verfasser weist
es nach, wie eben auch hier ohne gründlichen Ernst und ohne durchgrei-
fende Consequenz keine Resultate zu erreichen sind. In Bezug auf diese
Resultate aber legt er durchweg, und gewiss mit Recht, den höchsten
Maassstab an: l-landbildung, Angenbildung, Urtheilsbildung, Phantasiebil-
dung, Willensbildung dies ist es, was er als die eigentlichen Früchte
des Unterrichts erreicht sehen will. Von diesem Standpunkte aus ent-
wickelt er die Methode, die ihm, durch mehrjährige Erfahrung verbürgt,
als die vorzügliehst folgenreiche erscheint; es ist diese Methode aber iticht
eben eine völlig neue Erfindung, sondern es ist im Wesentlichen nur die
Anwendung der besten, schon hier und dort ausgesprochenen Principien
auf den bestimmten Fall. Alles was er in diesem Betracht sagt, hat eine
durchaus praktische Fassung, mit fester Rücksicht auf den Organismus
der Schule, auf das Wesen und die Bestimmung der 'l'öchterschnle, auf
die Eigenthümlichkeiten der weiblichen Jugend, auf das Verhältniss des
Lehrers zu dieser, u. s. w. So unverrüekt der Verfasser seinen Standpunkt
im Auge behält, so verschmäht er doch nicht, über die kleinsten und an-
scheinend unbedeuteildsten Einzelheiten seines Gegenstandes sich auszu-
sprechen, indem gerade darin die Realisation seines Planes beruht.
Wir glauben, dass diese Schrift Lehrern und Lehrerinnen aufs Auge-
legentlichste zu empfehlen ist, wir glauben aber auch, dass sie für ungleich
ausgedehntere Kreise dasselbe Interesse haben wird. Die Weise, wie jene
höhere Auffassung und die praktische Erfahrung hier einander ergänzen,
macht die Schrift ungemein lehrreich. Es tritt uns hier eine eigenthürm
lich liebenswürdige Beobachtung der Kinderwelt, ihres Sinncns und Den-
kens, entgegen; daran knüpft der Verfasser seine Anweisungen, wie das
kindliche Gemüth von früh an zu Ernst und Stetigkeit zu gewöhnen, wie
es zur künstlerischen Auffassung anzuleiten und Schritt vor Schritt in der
eröffneten Bahn weiter zu führen sei. Eine innigere Vermählung der
Kunst mit dem Leben, als solche in den meisten Fällen seither stattge-
funden hat, bietet sich dem Leser als endliche Frucht dieser Bobach-
tungen und Bestrebungen dar.