Mittheilungan
Berlin
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licher Gewandung und auf ähnlich zarte Weise behandelt; den Mantel
über den Arm geworfen, schreitet sie, wie im heitern Tuuzschritt, dem
Beschauer entgegen; auch ihre Erscheinung vergegenivärtigt noch den
mühelosen Sieg, den die Gunst des Genius verleiht, aber es ist in ihr
bereits die Vorempfindung desselben ausgedrückt. Die zur Rechten schrei-
tet feierlicher, ruhiger, mehr gemessen; das Gewand ist bereits strenger,
mehr wie für den Tempeldienst geordnet, ihr ganzes Wesen mehr den an-
tiken Vietorien verwandt; auch sie hält uns noch im Kreise jugendlichen
Strebens, aber sie vergegenwärtigt schon ein höher erwachtcs Bewusstsein.
Noch höherer und bedentsamerer Ernst durchdringt die drei Gestalten (ler
andern Seite. Die mittlere, sitzende, ist ruhig harrend dargestellt; in rei-
chcn, harmonisch sich entwickelnden Linien legt das volle Gewand sich
um ihren Körper; sie sitzt fest und ernst, und doch fühlt man in ihren
Gliedern die Elasticität, dass sie schnell in feierlicher Erhabenheit unsern
Blicken würde gegenüberstehen können; wir dürfen sie etwa als die voll-
kommne Sicherheit des Gelingens bezeichnen. Die ihr zur Rechten stehende
Gestalt richtet sich in kühner Hoheit empor; sie hält den Kranz über
ihrem Haupte und scheint im Begriff, sich selbst damit zu schmücken;
ihre Glieder, ihre ganze Bewegung drücken die schönste _jugendliehe Kraft
aus, sie selbst die Nähe an dem errungenen Ziele. Die zur Linken end-
lich erscheint in voller, majestätischcr Gewandung, die in grossen, ernsten
Linien niederfällt; ihr l-lauptist mit einem breiten Eichenkranze geschmückt
und, wie unter der Last des Kreuzes, ein wenig gebeugt; durch die Züge
ihres Gesichtes geht ein leiser Hauch wie von schmerzvoller Ermüdung;
sie schliesst die Gedankenfolge ab, und sie scheint es anzudeuten, dass
der Sieg nicht ohne Opfer erkauft wird. Rauch gilt grösstentheils nur
als Meister im Fache der historischen Sculptur; die bei weitem überwie-
gende Zahl der Aufgaben, die ihm zu Theil geworden sind, gehört in
dieses Fach, und die idealen Compositionen, welche dabei mehrfach an
Sockel und Piedestalen angebracht sind, fallen wenigstens, wie es in der
Sache liegen muss, minder ins Auge, wie hohe Schönheit sich auch schon
an ihnen entfalten möge. (Ich erinnere in diesem Betracht nur an die,
wiederum eigenthümlich bedeutungsvollen Victorien an dem Piedestal der
Statue Bülows, neben der Hauptwache von Berlin.) Die kolossalen Vic-
torienstatnen für die Walhalla treten uns dagegen als ideale Gebilde von
selbständiger Grossartigkeit entgegen und von einer Vollendung und
Durchbildung, dass wir fortan in der That zweifelhaft sein müssen, in
welcher Gattung der Sculptur wir die höchste Entfaltung seiner Meister-
schaft suchen sollen. Denn so geistvoll der in diesen Statuen durchge-
führte Gedanke ist. so innig ist das Leben, welches sie durchdringt, so
gediegen derAdel und die Würde des Styles, in dem ihre Linien entwor-_
fen sind. Die Verschmelzung des klarsten Ebenmaasses mit der feinsten
Beobachtung des Lebens, die sich hier auf eine Weise durchdringen, dass
sie als der Ausfluss ein und desselben künstlerischen Gefühles erscheinen,
bildet einen der wesentlichsten Vorzüge dieser Statuen. S0 gemessen die
Linien sind, so ist doch jeder, auch der leiseste Uebergang, das zarteste
Muskelspiel, wie der feinste Bruch der Gewandfalten, der Natur vollstän-
dig abgelauscht: der Weichheit und jugendlichen Elasncität des Nackten
entspricht durchweg die bestimmte Charakteristik der Gewandstoffe, je
nach ihrer grösseren Leichtigkeit, Schmicgsamkeit oder Schwere. Es ist
wohl eine seltne Erscheinung in der Geschichte der Kunst, dass ein Mann,