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Beri
und
Kritiken.
Mittheilungen
21118
Berlin.
(Kuustblatt
1842,
74-1
Ein grosser künstlerischer Genuss ward uns vor Kurzem zu Theil,
indem der Professor Rauch die sechs in Marmor gearbeiteten Kolossal-
Statuen der Victorien, welche für die Walhalla des Königs von Bayern
bestimmt und nunmehr vollendet sind, vor ihrer Absendung öffentlich
ausstellte. Seit einer Reihe von Jahren war Rauch mit diesen Arbeiten
beschäftigt gewesen; wir hatten früher wohl bereits Gelegenheit gehabt.
eine oder die andre Statue, theils im Modell, theils im vollendeten Stein-
bilde zu sehen; jetzt ward uns die Freude, den ganzen Cyklus überblicken
und über die neue Meisterschaft, die sie uns darlegen, und über die geist-
reich wechselnden Modificationen Einer Grundidee, die in ihnen entwickelt
ist, ein bestimmtes Urtheil fassen zu können. In der That wirkt zunächst
dies Letztere, die geistvolle Weise, wie das gegebene Thema sechsfach
verschieden variirt ist, so überraschend wie anziehend. Die Statuen der
Victorien Symbole des edelsten Strebens und des glücklichsten Erfol-
ges'- werden bekanntlich dazu dienen, an den Langwiinden im innern
Raume der YValhalla, an denen die Büsten der Gefeierten aufgestellt sind,
bestimmte Abtheilungen zu bezeichnen und solchergestalt dem Auge feste
Rubepunkte zu gewähren; vor eine jede Wand werden ihrer drei zu stehen
kommen. Dieser Zweck wäre zunächst durch eine einfache, mehr nur
dekorative, mehr architektonisch strenge Behandlung zu erreichen gewesen;
dabei aber wären die Gestalten nur allgemeine, nur äusserlich wirksame
Symbole geblieben. Rauch wusste sie, ohne ihnen doch das nothwendig
Gemessene ihrer Erscheinung zu nehmen, zugleich zu individualisiren; er
wusste sie zu lebenvollen Wesen, die dem Menschen als freundliche Genien
nahe sind, umzugestalten, wusste in ihnen den Begriff, das Gefühl, die
Stimmung des siegreichen Strebens auf eindringliche und wirkungsreiehe
WVeise zu verkörpern. Es ist Ein Gedanke, der ihnen zu Grunde liegt;
aber er steigert sich vom leichten, seiner kaum noch bewussten Spiele bis
zum tiefsinnigen Ernst. Diese Entwickelung und Durchbildung des Einen
Gedankens durch eine Reihe von sechs lebenvollen Gestalten hat etwas
eigenthümlich Poetisches; sie bringt eine Charakteristik hervor. die im
besten Sinne des Wortes echt modern ist und desshalb unser Inneres
mit verwandten und befreundeten Klängen berührt; dabei aber ist sie
durchaus in derjenigen Würde und Idealität gehalten, deren für alle Zeit
gültige und nothwendige Basis die Antike ist. Rauch hat, was zunächst
das Aeussere der Anordnung betrifft, die Einrichtung getroffen, dass die
Mitte einer jeden der beiden Wände durch eine sitzende Statue eingenom-
men wird, während die übrigen Statuen stehend dargestellt sind. Die
mittlere Statue der einen Seite, mit welcher wir, wie es scheint, den Oyklus
beginnen müssen, ist zart und jugendlich gehalten; in feinem, flüssigem
Untergewande, den Mantel über den Schooss geworfen, sitzt sie leicht da,
vorgewandt, fast spähend, als ob sie im Begriff sei, dem erkoruen Lieb-
linge schnell, wie im Spiele, den Kranz aufzudrückcn; es ist in dieser
Gestalt eine fast wunderbare Grazie und Anmutb; die Znsammenwirkung
der unbefangensten Naivctät mit dem vollen Adel des Styles bringt eine
überaus liebliche Wirkung hervor. Die ihr zur Linken erscheint in ähn-