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Eine solche Richtung der landschaftlichen Darstellung war aber durch-
aus nothwendig, wenn überhaupt mit Erfolg ein reineres Streben in das
betreffende Kunstfach eingeführt werden sollte; man konnte von der Un-
natur nur frei werden, indem man mit voller Absicht und Entschiedenheit
auf die naivste Natürlichkeit der Natur zurüekging. Dasselbe Bestreben
tritt uns zu jener Zeit in Deutschland auch in andern Beziehungen und in
nicht minder anerkennllngstviirdiger Weise entgegen. Für das Fach der
figürlichen Darstellung erinnere ich hier nur an die unnachahmliche Nai-
vetät, durch welche Chodowieckfs Kupferblätter einen so hohen Werth
behalten. ln der Poesie zeigt sich ganz dieselbe Auifassung der Natur,
Hier klingt sie schon im Anfange des Jahrhunderts durch den, mit Un-
recht fast vergessenen Brockes herein; entschiedener bei Kleist; ihren
Culminationspunkt erreicht sie in Göthes Werther (1774). Die Naturschil-
clerungen, die zu den wesentlichsten Schönheiten des Werther gehören,
sind in der That den Darstellungen, welche Kobell mit Vorliebe giebt.
auffallend verwandt; auch ist hier ein völlig gleiches Verhältniss zu den
Bildern der Natur, welche dem Dichter bei der Abfassung seines berühmten
Buches vorschwebten. Es ist bekannt, dass die Lokalität und die dama-
ligen geselligen Verhältnisse von Wetzlar die Grundlage zum Werther
ausmachen. Wer das liebliche Thal des Lahuflusses kennt, in welchem
Wetzlar liegt, findet es vielleicht ähnlich autfallentl, dass Göthe uns durch-
weg nur in die schlichtesteu und stillsten Situationen jener Gegend ein-
führt, dass er Alles, was einen höhern, romantisch landschaftlichen Reiz
darbietet, ganz unberührt lässt, und dass sich in seinem Buche auch nicht
die leiseste Hindeutung auf so glänzend malerische Punkte, wie die Gegend
des unfern belegenen Weilburg oder wie die von Limburg, findet.
Bei solcher Richtung erscheint Kobell jedoch durchaus nicht als ein-
seitiger Naturalist; im Gegentheil tritt in seinen Radirungen durchweg die
vollste und gemesseuste künstlerische Besonnenheit hervor. Hierauf deutet
schon, was oben über das Allgemeine der technischen Dnrchbildnng seiner
Blätter gesagt ist. Auch lässt sich in den letzteren ein klar vorschreiten-
der Bildungsgang ziemlich deutlich verfolgen. Wir sehen, wie er sich,
allerdings zwar auf der Grundlage einer selbständigen Naturanschauung,
durch das Studium der älteren Meister zum vollkommenen Bewusstsein
über die Grundsätze seiner Kunst entwickelt. S0 tragen zunächst die-
jenigen Arbeiten, die in der Zeit seines Pariser Aufenthaltes und in den
nächstfolgenden Jahren gefertigt wurden, das Gepräge der holländischen
Landsehaftschule, die als ein gewiss sicherer und gültiger Wegweiser
betrachtet werden muss, wenn man die ruhige Einfalt der Natur auf künst-
lerische Weise zur Darstellung bringen will. Hieher gehören auch die
wichtigeren unter den Blättern, in welchen Kobell iigürliche Darstellungen
gegeben hat. Dann wendet er sich auf eine kurze Frist derjenigen Rich-
tung der Landschaft zu, welche die Natur in einer mehr idealen Weise_
mehr nach dem Vorbilde der Gegenden Italiens, behandelt und welche
besonders durch die beiden Poussins und deren Nachfolger vertreten wird.
ln dieser Periode tritt Kobell allerdings mehr oder weniger aus seiner son-
stigen Eigenthümlichkeit heraus; doch auch in den Darstellungen dieser
Zeit erscheint die ihm eigne Einfachheit der landschaftlichen Situation
zumeist vorherrschend. Bald aber verlässt er auch diese Richtung und
zeigt sich nunmehr in seiner vollen Selbständigkeit, die mit grösserer oder
geringerer Entschiedenheit nur das Vorbild der heimischen Natur befolgt.