Ferdinand
Ueber
Kubell
und
seine
Radirungen.
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Haltung hinzuarhciten versteht. U. s. w. Eine wesentliche Ausnahme
macht eigentlich nur Aldert van Everdingen, der in seinen anziehen-
den Blättern von vornherein mehr die Zeichnung in ihrer Selbständigkeit
als jene Andeutung einer malerischen Wirkung im Sinne hat, und der in
der zierlichen Bestimmtheit der Umrisslinien, in der plastischen Modelli-
rung an Fels und Bäumen vorzüglich ausgezeichnet ist. In diesen Elemen-
ten der Behandlung sind Everdingems Blätter als die wichtigsten Vorbil-
der, welche Kobell vorlagen, zu nennen; aber auch sie wiederum enthalten
häufig mehr nur die Angabe der Composition, als dass in ihnen überall
die Mittel, welche schon die Zeichnung an sich gewährt, und besonders
die ganze Wirkung des Helldunkels, zur vollkommenen Erscheinung kämen.
Doch nicht bloss in der gründlicheren Feststellung der Technik beruht
die Bedeutung von KobelPs Radirungen; sie sind zugleich die schönsten
Zeugnisse für das neue sinnvolle Eingehen auf das stille Wirken der
Natur in ihrer schlichten Reinheit, welches zu jener Zeit in Deutschland
erwachte, welches die Fesseln des französischen Geschmackes, der selbst
in Wiese und Wald seine knechtisehe Unnatur hinausgetragen hatte, von
sich warf und den neuen Aufschwung der Kunst einleitete, dessen wir
uns heutiges Tages erfreuen. Wir haben Kobell mit seinen Radirungeu
als einen der glücklichsten Vorkämpfer für solche Bestrebungen anzuer-
kennen; seine Wirksamkeit musste um so grösser sein, als das scheinbar
kleine Fach, welches seine vorzüglichste Thätigkeit ausmachte, die zahl-
reichste Verbreitung seiner Leistungen gestattete. Man hat es beklagt, dass
Kobell, ausser jener Reise nach Paris, die deutsche Heimat nicht verlassen,
dass er namentlich nicht in dem glänzenden Italien seine künstlerischen
Studien gemacht habe; man meint, sein Talent würde sich dann in grösse-
rem Beichthum entfaltet haben; aber es dürfte sehr in Frage zu stellen
sein, 0b eine grössere Mannigfaltigkeit der Erscheinungen nicht vielleicht
seinen Blick verwirrt, nicht die Reinheit, die keuschc Naivetät der Auf-
fassung, die in seinen Blättern vor Allem so anziehend wirkt, getrübt haben
möchte. Auch bot ihm schon seine nächste Heimat des Schönen und Au-
muthigen gar viel. Ja, es ist fast auffallend, dass er die vorzüglich gross-
artigen, die vorzüglich malerischen Bilder, die sich ihm bei den Spazier-
gängen und bei kleinen Studienreisen in der Heimat selbst darbieten muss-
ten, keineswegs so benutzt hat, wie es unzweifelhaft ein Landschaftsmaler
des heutigen Tages thun würde. Wir finden in seinen Radirungen Nichts,
was an die wundersame Romantik des Heidelberger Schlosses, das in sei-
ner Zerstörung einen so mächtig phantastischen Reiz ausübt, erinnerte;
Nichts, was etwa dem zweiten Glanzpunkte des Neckarthales, der Gegend
von Neckarsteinach, entnommen wäre; Nichts, was auf die so ganz eigen-
thümlich malerischen Theile des Hardtgebirges, namentlich auf die Umge-
bungen von Anwciler, oder was auf die weiter nördlich belegenen roman-
tischen Theile des Rheinthales hindeutete. Im Gegentheil zeigt sich bei
Kobell, bis auf einzelne Ausnahmen, die durch einen, hieven ganz ver-
schiedenartigen Einfluss hervorgebracht sind und von denen weiter unten
die Rede sein wird, eine sehr entschiedene Vorliebe für die einfachste
landschaftliche Situation. Von der sogenannten heroischen oder allgemei-
ner, von der idealischen Landschaft finden wir nur vorübergehende An-
deutungen in seinen Blättern; es ist die Natur in ihrer grössten Einfalt
und Stille, die Verbindung derselben mit dem schlichtesten menschlichen
Verkehr, was er am häufigsten und mit vorzüglichstem Glückc darstellt