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Karl
Friedrich
Schiukej
ten des Einganges, mit Gemälden, die etwa sechsmal so lang wie hoch
sind. Dem Inhalte nach sondert sich dieser äusscre Oyklus in zwei Haupt-
theile, von denen der eine, makrokosmiseh, die Entwickelung der Welt-
kräfto (als Wesen ethischer Bedeutung) von der Nacht zum Lichte, der
andre mikrokosmisch, die Entwickelung der geistigen Cultur des Menschen,
vom Morgen zum Abende des Lebens, darstellt. Das erste Bild ist das
der linken Seitenwand: ein dunkler, purpurschimmernder Kreis, der von
seligen sternetragenden Gestalten, die sich in harmonischen Bewegungen
durcheinander schlingen, erfüllt wird; in der Mitte ein riesiger Greis,
Uranus, die Arme liebevoll ausbreitend. Es ist die Darstellung der göttlichen
Kräfte in ihrer ursprünglichen Heiligkeit und Reinheit. Das folgende
Gemälde, eins der breiten Langbilder, stellt das Hinaustreten dieser Kräfte
in die Welt dar. Es enthält einen langen Zug unzähliger schwebender
Gestalten, die aus nächtlich graublauem Dunkel sich in das lichte Blau
des Tages hinüberziehen. Zu Anfange sieht man Kronos und die Titanen
in das Dunkel hinabweichen, Zeus und lichttragende Wesen vor ihm zur
neuen Herrschaft emporsteigen. Die Nacht, ein grosses schönes Weib,
breitet ihren Mantel, unter dem mannigfache Gruppen Schlafender ruhen,
über sich empor. Von da zieht es in das Leben des Tages hinaus, anfangs
noch träumerisch und zögernd, dann immer kräftiger, entschlossener, be-
wegter. Geberden und Attribute bezeichnen hier die Hauptmomente der
Existenz; Kampf gegen die verfolgenden Gestalten der Tiefe. das Hinab-
giessen des Thaues, Hinabstreuen von Samen und Blüthenstaub u. dgl. 111.,
giebt die mannigfaehsten Motive für die Darstellung. Immer lebendiger
und heitrcr wird es; Eros und Venus Urania erscheinen; endlich, neben
versehiednen andern Gestalten, Phöbus auf dem Sonnenvragcit und die
Grazien, die über ihm schweben. Das dritte Gemälde (wiederum ein
Langbild) enthält, wie bemerkt, die eigentliche Darstellung menschlicher
Cultur. Es beginnt mit dem Jugendalter des Menschen; sibyllinische und
dichterische Begeisterung, Versuche bildender Kunst ziehen den Wilden
zu dem Bande der Sitte heran und wandeln die Uebung roher Kraft zum
heitren Spiele; das Fest der Erndte bezeichnet die Freude am heimatlichen
Boden. Auf der Mittaghöhe des Lebens entspringt unter den Hufen des
Flügelpferdes der Quell der Phantasie; er stürzt hinab in eine kühle Grotte,
in deren Tiefe, halb verdeckt von dem Schleier des fallenden Wassers,
die Göttinnen des Schicksals sitzen. Nymphen sind mannigfach am Rande
der Grotte beschäftigt, Helden und Dichter werden mit ihrem WVasser- er-
frischt, Werkleute und Gesetzgeber holen von da Kräftigung für ihr
Thun. Jenseit der Grotte geht es in den Abend des Lebens hinein; hier
wird zur Erfüllung, was vorher Ahnung war. Die Kunst breitet sich in
erhabenen Werken aus, der Genius hat sich dem schalfendcn Künstler zu-
gesellt; an die Säulen des Tempels lehnt sich die Weinlaube und das
fröhliche Fest der Keltcr. Die Mnsen tanzen hier, dem greisen Dichter
nah, ihren feierlichen Reigen; edle Krieger kehren siegreich heim, von der
Göttin des Sieges geleitet. Auf einsamer Höhe schaut der Weise zu den
Gestirneu empor, und nach unbekannten Küsten hinaus zieht der Schiffer,
dem die Masse ihren segensreichen Gruss mitgiebt. Das vierte Bild
endlich zeigt den Schluss des Irdischen und seine Verklärung. Wehkla-
gcnd ist eine Familie auf den Stufen eines Grabmales vereint, das von
nächtlichen Wolken beschattet wird. Ueber den WVolken aber bricht der
Schimmer eines neuen Tages herauf; eine verklärte Gestalt schwebt zum