Volltext: Kleine Schriften über neuere Kunst und deren Angelegenheiten (Bd. 3)

Karl 
Friedrich 
Schiulu 
die Behandlung in diesen Sccnen ist wiederum ganz clussisch; die reine, 
nackte Körperform herrscht durchaus vor, die Bewegungen entwickeln sich 
demgemäss in freier Unmittelbarkeit, in unbefangener Naivetät; aber darin 
besteht gerade die Schönheit dieser Darstellungen, dass sie eben, wie die 
Antike, das Leben in seiner reinen Natürlichkeit, in Kraft und Unschuld 
zugleich, fassen. Von einer Nachahmung der Antike kann hier jedoch gar 
nicht die Rede sein, indem diese Darstellungen eben nur auf das Nächst- 
liegende, auf das allgemein Menschliche, ausgehen und nur hierin die 
Bedeutung des Gebäudes aussprechen. Nicht minder interessant und eigen- 
thümlich ist der zweite I-Iauptcyklus, der die Darstellung an den Gewänden 
der beiden Portale umfasst; an dem einen derselben sind nämlich die Bil- 
der der Architektur in ihrer Bedeutung als schöne Kunst (besonders die 
Personificationen der Säulenordnungen), an dem andern die Bilder der 
Architektur als Wissenschaft vorgestellt. Es würde zu weit führen, wollte 
ich auch noch auf die andern Zier-den dieses merkwürdigen Gebäudes.  
das in seinen bildnerischen wie in seinen architektonischen 'l'heilei1 gleiche 
Bedeutung für eine neue, auf elassischer Grundlage frei entwickelte Kunst 
hat,  näher eingehen. 
In seinen kirchlichen Entwürfen hat Schinkel im Ganzen wenig von 
bildnerischen Darstellungen in grösserem Maassstabe mitgetheilt; als Grund 
hiefür darf man wohl annehmen, dass die zumeist beschränkten Mittel 
diesen reicheren Schmuck seltner verstattet haben, dann aber auch, dass 
von den beileutenderen Entwürfen nur sehr wenige zur Ausführung gekom- 
men, somit diese Einzelheiten auch nicht in gleichem Maasse durchgear- 
beitet sind. Doch finden sich auch so Andeutungen genug für eine Be- 
handlungsweise der hierher gehörigen Darstellungen in classischem Sinne. 
wozu natürlich, da die gebräuchlichen Typen derselben bis in das clas- 
sische Alterthum hinaufreichen, eine sehr gültige Veranlassung war. Dass 
eine solche Behandlungswcise die christliche Auffassung nicht xiothtvendig 
beschränke, ist genügend durch die Geschichte der Kunst erwiesen. Aber 
gerade für dies Verhältniss findet sich ein merkwürdiges Beispiel in Schin- 
kels Entwürfen, welches, wie es scheint, eine besondre Aufmerksamkeit in 
Anspruch nimmt: ich meine seine (in verschiednen Heften sich wieder- 
holende, wenn auch mehrfach rnoditicirte, Behandlung des Crucifixes, 
das zum Altar-schmucke bestimmt ist. Schinkel hat diesem Gcgenstande 
eine mehr künstlerische Fassung zu-geben versucht; er stellt den Erlöser 
nicht am Kreuze hängend, sondern vor demselben auf einer Kugel stehend 
dar, so dass nur die Arme an das Kreuz geheftet bleiben. Um den Unter- 
körper des Erlösers hat er ein volleres Gewand geschlagen, zumeist auch 
über die Arme des Kreuzes selbst ein teppichartiges Gewrand gehängt, um 
so dem Ganzen mehr Fülle und plastische Wirkung zu geben. Diese Dar- 
stellung soll natürlich nicht dazu dienen, den Moment der Kreuzigung 
selbst zu vergegenwärtigen; sie ist  im Sinne der classischen Kunst  
symbolischer Art; sie deutet allerdings auf den Opfertod des Erlösers hin, 
aber sie fasst den Erlöser nicht als den seinen Qualen erliegenden Meu- 
schen, sondern als den Sieger über das Leiden der Welt auf; sie gicht 
uns nicht den steten, abschreckcnden Anblick eines zu Tode Gefolterten, 
sondern leitet unser Gefühl von dem Opfer zu dessen gnadenreichen Fol- 
gen hinüber; sie vrirkt auf unser Gefühl in einer wahrhaft erhebenden 
Weise und schliesst sich, auch in Bezug auf die äussere Form, würdig 
einer würdigen Umgebung an. Die Darstellung ist in elassischem Sinne
	        
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