Volltext: Kleine Schriften über neuere Kunst und deren Angelegenheiten (Bd. 3)

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K arl 
Friedrich 
Schinkel. 
Zwei der grösseren Kirchenpläne Schinkels sind in gothischetn 
Style ausgeführt; der eine ist der der Werderkirche zu Berlin (Heft XIII), 
welche seit mehreren Jahren bereits nach diesem Plane vollendet dasteht; 
der andre (Heft V) war zu einer grossen Kirche bestimmt, welche neben 
dem Spittelmarkte von Berlin erbaut werden sollte, aber nicht zur Aus- 
führung gekommen ist. Dass die Anwendung des gothischen Baustyls 
gewissermaassen als eine Ausnahme unter der Gesammtzahl von SchinkePs 
architektonischen Leistungen erscheint. ist schon im Obigen bemerkt wor- 
den; die Behandlung desselben aber giebt nichtsdestoweniger die eigen- 
thümliche Richtung seines Formensinns zu erkennen. Schinkel bemüht 
sich, die Gliederungen und das Ornament der gothischen Architektur ein- 
facher  mehr der antiken Gefühlsweise verwandt  zu bilden, die 
grossen Massen vorherrschen zu lassen. ihnen durch entschiedenen hori- 
zontalen Abschluss diejenige Ruhe zu geben, welche an den antiken Ge- 
bäuden so kräftig wirkt, sie endlich der grösseren Mengejencr willkürlich 
scheinenden, mehr oder minder frei durchbrochenen Verzierungen zu ent- 
kleiden, mit welchen einzelne Theile ihrer Masse bedeckt sind. Und ich 
darf wohl nicht erst hinzusetzen, dass dies Alles in seinen Entwürfen an 
sich mit eben demselben Geschmacke ausgeführt ist, der nicht den gering- 
sten Vorzug seiner anderweitigen Leistungen bildet. Aber, ich muss es 
gestehen, ich habe mich mit einem solchen Bestreben im Allgemeinen nicht 
zu befreunden vermocht. Mir scheint, dass hiedurch dem Style der go- 
thischen Architektur ein grosser Theil, demAeusseren des in gothischem 
Style aufgeführten Gebäudes der wesentlichste Theil seiner Wirkung 
genommen wird. Mir scheint, dass jene complicirten Verhältnisse des 
Gewölbes, welche sich in der gothischen Architektur (aber mit innerer 
Consequenz) entwickelt haben, eben auch eine complicirte Formation der 
Gliederungen nothwendig machen, dass die Wirkung dieser Verhältnisse 
des Gewölbes auch im Aeusseren bezeichnend  die grossen Massen 
durch die Streben unterbrechend  hervortreten müsse; dass der horizon- 
tale Abschluss des Aeusscren mit der Form des Spitzbogens, die in sich 
keine Ruhe hat, in Widerspruch stehe; dass diese Form, für das Aeussere, 
erst durch die emporstrebende Bekrönung des Spitzgiebels ihre Gültigkeit 
und Bedeutung erlange; dass überhaupt in der gothischen Architektur ein 
Element des Emporstrebens vorhanden sei. welches, organisch gegliedert, 
auch jenen reichen, gesetzmässig wiederkehrenden Wechsel derjenigen 
Theile, die zunächst nur als Verzierungen erscheinen, und ihr mehr oder 
minder freies Hervortreten aus der Masse bedinge. Bei alledem ist es 
natürlich nicht ausgeschlossen, dass, wie das Einzelne dieser gothischen 
Gebäude Schinkefs an sich mit Geschmack gebildet ist, auch in den Ver- 
hältnissen und den Hauptformen, besonders des Inneren, sich ein edles, 
würdiges Gefühl ankündigen kann, wie dies in der That in der Werder- 
kirche stattfindet und wie ohne Zweifel das andre grössere Gebäude, durch 
die eigcnthümlich geistreiche Anordnung seines gesammten Inneren, noch 
eine ungleich bcdeutendere, überraschende Wirkung ausgeübt haben würde. 
 Diesen beiden Entwürfen schliesst sich noch ein dritter für ein kleine- 
res Gebäude, für eine Kapelle, die im kaiserlichen Garten zu Peterhof bei 
Petersburg erbaut worden ist (Heft XXI), an. Hier nähert sich die ganze 
Architektur ungleich mehr den mittelalterlichen Principien des gothischen 
Baustyls, und dic siimnttlichen vcrzicrenden 'l'heilc sind im grössten
	        
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