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Karl
lüiedrich
Schinkel.
SchinkePs
künstlerische
Allgemeinen.
im
Richtung
Schinkels künstlerische Richtung ist mit Entschiedenheit als eine
klassische zu bezeichnen. Am unmittelbarsten ergiebt sich dies aus der
Betrachtung seiner architektonischen Werke, in denen vorherrschend
die Formen der antiken Baukunst die Grundlage bilden, und zwar in einer
Weise, welche durchweg auf die edelste Blüthezeit dieser Kunst, auf die
griechischen Werke aus dem Zeitalter des Perikles, zurückgeht. Schinkel
hat uns den reinen Styl dieser Werke, den lebenvollen Organismus ihrer
Bildung, die befriedigende Harmonie ihrer Composition aufs Neue zur
Anschauung gebracht. Aber er steht nicht unter der Botmässigkeit seiner
Vorbilder. Ohne zwar (wie es in der sinkenden Zeit des antiken Lebens
und von minder befähigten Nachahmern der Antike oft geschehen ist)
die Einzelheiten der griechischen Architektur willkürlich zu zerstückeln,
ohne den inneren Zusammenhang, durch den sie bedingt werden, aufzu-
lösen, weiss er ihre Formen nicht nur dem jedesmaligen äusseren Bedürf-
nisse, wo ein solches gebieterisch bestimmend gegenübersteht, mit Ge-
schmack anzupassen, weiss er überhaupt nicht nur ihr gegenseitiges Ver-
hältniss zu dem beabsichtigten Eindrucke auf den Sinn des Beschauers,
nach dieser oder jener Richtung hin, mannigfach zu moditiciren; auch
in ganz neuer und eigenthümlicher Zusammenstellung führt er uns diese
Formen vor, ganz neue und eigenthümliche Compositionen lässt er aus
dem inneren Geiste der antiken Kunst sich mit vollkommener Freiheit
entwickeln.
Dies ist ein Punkt, der hier zunächst mit Nachdruck hervorzuheben
sein dürfte. Die Aufnahme der antiken Formen für die Zwecke unsrer
heutigen Architektur wird gewöhnlich mit dem bequemen Worte der
"Nachahmung" abgefunden; und allerdings, wenn man im Volksgarten zu
Wien einen Theseustempel, in London ein Erechtheum (als St. Pancratius-
Kirche) erbauet, so ist das eben nichts weiter als Nachahmung, und es
kann eine solche Kopie im besten Ealle nur das Verdienst einer ge-
schickten Nachahmung haben. Wesentlich verschieden aber ist es schon,
wenn_ man ein Gebäude, dessen Facade etwa durch eine griechische Säu-
lenhalle gebildet wird. ohne ein bestimmtes Vorbild für letztere aufführt.
Denn wo es die Absicht ist, eine Architektur aus Säulen und horizontaler
Decke zu bilden, da tritt uns überall die griechische Kunst in einer Voll-
endung, in einer fast naturnothwendigen innerlichen Consequenz entgegen,
dass nur für seltene, ganz vereinzelte Fälle abweichende Coinbinationen
der Architekturtheile denkbar sein dürften; da werden somit die grie-
chischen Formen weniger als Vorbilder, vielmehr nur als Mittel der
architektonischen Darstellung betrachtet werden müssen. Wie diese For-
men aber sowohl in ihrem gegenseitigen Verhältniss als in den besondern
Eigenthümlichkeiten ihrer Bildungdie mannigfachsten feineren Unter-
schiede gestatten, wie die für architektonischen Schmuck bestimmten 'l'heile
(die eigentlich nie an einem Gebäude griechischen Styles fehlen dürfen)
in den wechselndsten Gestaltungen auszuführen sind, braucht hier nicht
weiter dargelegt zu werden; gerade aber darin, wie der Architekt diese
gegebenen, diese ich wiederhole das Wort fast naturnothwcndigen
Formen für seine Zwecke ausbildet, zeigt sich scinc selbständige künst-