294
Berichte,
Kritiken
Erörterungen.
scheiden: als eine süddeutsche und eine norddeutsche Kunst. Der Haupt-
sitz der süddeutschen Kunstthätigkeit ist gegenwärtig München, der der
norddeutschen Düsseldorf. Viele Verhältnisse wirken gleichzeitig ein,
um diese Unterschiede mit namhafter Bestimmtheit festzuhalten. Das lrler-
vorslecherlde, was in München geschieht, wird durch den NVillen eines
Einzelnen, des kunstliebenden Herrschers, ins Leben gerufen; durch ihn
sind die Gegenstände der künstlerischen Darstellung, ihr räumliches Ver-
hältniss, ihre äusscre Behandlung vorgeschrieben; in Düsseldorf herrscht
kein allgemeines Gesetz der Art; die Künstler arbeiten nach ihrer eignen
Willkür; das Volk (die einzelnen Privaten, wie die Repräsentationen des
Volkes durch die Knnstvereine) empfängt von ihnen, was es als seinen
eignen Kunst-lnteressen angemessen anerkennt. ln München stehen wenige
einzelne Meister (die schon unter sich durch entsprechende Bildungs-
Perioden Verwandtschaft gewonnen haben) an der Spitze jener grossartigen
Kunst-Arbeiten da; ihr eigenthümlicher Styl geht dadurch, dass sie die
letzteren in Gemeinschaft mit ihren Schülern und Gehülfen ausführen, auf
diese über; in Düsseldorf ist zwar ebenfalls ein einzelner Meister als
der Leiter der Schule namhaft zu machen; seine Einwirkung auf letztere
besteht aber vornehmlich darin, dass er (wie die (äeschichte der Kunst
kaum ein Beispiel ähnlich bedeutenden Erfolges kennt) die eigenthüm-
lichen Kräfte eines jeden Individuums in vollständiger Freiheit zu ent-
wickeln und herauszubilden weiss. Die Gegenstände der Münchner Kunst
gehören (immer in Rücksicht auf das Ueberwiegende ihrer Leistungen)
vorzugsweise einem einzelnen Gebiet: dem der Geschichte, wie sich diese
im Mythus, im Gedicht und in der wissenschaftlichen Ueberlieferung des
Geschehenen darstellt, an; es sind die grossen 'l'haten, die grossen Ereig-
nisse der Vergangenheit, welche als ein bestimmt Gegebenes, Objectives
aufgefasst und der Gegenwart bildlich vorgeführt werden; in den Ge-
genständen, welche die Düsseldorfer Kunst behandelt, ist dagegen nicht
eine solche Aufgabe vorherrschend; ein Jeder wendet sich hier derjenigen
Gattung der Malerei zu, welche seiner Individualität gerade zusagt; und
das durchgreifende Princip der Auffassung. welches allerdings auch bei
ihnen hervortritt, besteht umgekehrt darin, dass die Künstler ihr subjec-
tives Gefühl, mit dem sie zu dem frei erwählten Gegenstande hingezogen
wurden, bei der Darstellung des letzteren auszudrücken streben. In Mün-
chen ist es somit im Allgemeinen mehr das Ereigniss, die Handlung, die
That, was dargestellt wird; in Düsseldorf mehr die Situation, die Stim-
mung, der Affekt. Dort tritt mit grösserer Bestimmtheit die körperliche
Gestalt, durch welche die Handlung geschieht, hervor; hier ist es mehr
darauf abgesehen, jene Aeusserungen des Lebens, die unter der körper-
lichen Hülle verborgen liegen, zur Anschauung zu bringen. Diesen vpr-
schiedenen Autfassungsweisen gemäss hat sich denn auch die Behandlung
verschieden ausgebildet. In der Münchner Kunst kommt es vorzugsweise
auf eine bestimmte Zeichnung, auf eine plastische Ausbildung der Form
an, und der Schmelz der Farbe erscheint bei ihr nicht als ein gleich
Nothweudiges (womit denn auch die Bediugnisse der grossräumigen Frescc-
malerei wenigstens in einem gewissen näheren Verhältnisse stehen); der
Ausdruck tieferer Gernüthszustände aber. der in der Düsseldorfer Kunst
zunächst hervorgehoben zu werden pflegt, kann gerade nur durch das
weichere Element der Farbe erreicht werden, und die Zeichnung erscheint
bei ihr erst als ein ztveitcs Bcdingniss der Darstellung. In allen (licsen