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Berichte, Kritiken
Erörterungen.
zuerst Gestalten, welche von der Schwere der körperlichen Natur noch
nicht ganz befreit sind und langsam und nur durch Hülfe Anderer sich
in die Lüfte emporheben. Dann ordnen sich die Schaaren, schöne adlige
Gestalten, die im schnellen Zuge vorwärts brausen. Ueber und vor ihnen
schwebt der Imperator, erhaben, voll klassischer Majestät, voll des Aus-
druckes einer angeerbten, lang berechtigtenvHoheit und Macht; zwei
schöne Knaben schweben zu seinen Seiten und stützen ihn unter den
Achseln. Links oben wird das strahlende Kriegeszeichen des Kreuzes
herbeigetragen und emporgerichtet; hoffend, voll freudiger Zuversicht,
weisen die römischen Schaareti auf das Zeichen, in welchem, mehr als in
der eignen Kraft, ihr Heil beruht, zurück. Zwischen den beiden Heer-
führern entbrennt heftiger Kampf. Oberwärts, ein wenig entfernt, sieht
man Hunnen, welche zu kühn voransgedrnngen sind und nun vor den
gewaltigen Schlägen römischer Krieger angstvoll zurückweichen. Unter-
wärts senkt sich ein wilder Knäuel des Handgemenges wie eine gewitter-
schwere Wolke über der Mitte des Bildes nieder; in hastigem Entsetzen,
wie vom Stürme zurückgetrieben, fliehen die Vordersten der Römer vor
dem Schilde, welcher den König der Hunnen trägt.
Diese Schilderung giebt nur die Hauptzüge des grossen Werkes; die
mannigfach verschiedenartigen Individualitäten, welche dasselbe vorführt,
die Durchführung des reich gegliederten Gedankens in allen einzelnen
Gestalten, die Kraft und Freiheit der Bewegungen, die unwiderstehliche
Wahrheit, mit welcher hier die traumhaft poetische Fiction auftritt, alles
dies kann nicht durch das blosse Wort bezeichnet werden, indem dies bei
der Charakteristik des Details doch nur ein unklares Bild hervorrufen
würde. Nur im Allgemeinen mag es bemerkt werden, dass die beiden
Grundcharaktere der dargestellten Figuren, der des edlen, gebildeten
Volkes der classischen Welt und der des wilden, noch durch keine höhere
Sitte gebändigten Naturvolkes, mit ebenso grosser Meisterschaft durchge-
führt sind, wie in der Formenbildung überall die grösste Reinheit und Ge-
messenheit, in der Bewegung überall die vollkommenste Klarheit und
Naivetät, in der Gruppirung überall (und ganz besonders in den Aus-
gängen der Gruppen) das lauterste Ehenmaass, in jeder einzelnen Ge-
stalt, in jeder Gruppe ebenso wie in dem Ganzen der Composition, der
reinste, edelste Styl hervortritt.
Im Einklange mit diesem vollendeten Style der Zeichnung steht es
sodann auch, dass diese Composition nicht auf eine phantastische, über-
raschende Lichtwirkung (wozu der Gegenstand nach andrer Auffassung
allerdings hätte Anlass geben können) berechnet ist, sondern dass über
das Ganze Sich ein gleichmässiges (wenn man will: conventionelles) Licht
verbreitet, welches überall eine günstige. Entwickelung der Formen ge-
stattet. Hieraus ergicbt sich von selbst, dass die Den-Stellung in ihrer
gegenwärtigen, wenn auch farblosen, Ausführung gleichwohl als ein abge-
schlossenes, in sich Vollendetes Werk zu betrachten ist, und dass es, wenn
schon die Farbe noch ein neues, vielleicht sehr bedeutendes Element der
Belebung hinzugetragcn haben würde, keinesweges als eine blossc Unter-
malung, welche noch der weiteren Farben-, Licht- und Luft-Effekte mR
Nothwendigkeit bedürftig wäre, zu betrachten ist.
Wohl aber dürfte es in Frage kommen, ob nun diese höhere streng-
stylistische Auflassung und Behandlung, diese Entäusscrung all jener
wundersamen nächtlichen Effekte bei einem Gegenstande, dessen Inhalt