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Bßrichte,
Kritiken,
Erörterungen
cigenthümlieh selbständige Anschauung zu entwickeln sein dürfte. So ist
zunächst zu berücksichtigen, dass Gutenberg einem alten Patriciergcschltechto
angehörte, mit dem er in früher Jugend, vor der Macht der Neubürger
weichend, auszuwandern genöthigt ward, und dass er auch in späterer
Zeit als seines vornehmeren Ursprunges bewusst auftritt; (so z. B. in dem
bekannten Processe mit Fust. wo er vor Gericht in eigncr Person zu er-
scheinen verschmiihte, und wo der Adel seines Wesens, der gemeinen
betrüglichen Habgier des Fust gegenüber, ein nur um so helleres Licht
zu erhalten scheint; so namentlich in den letzten Jahren seines Lebens,
welche er, dem gewerblichen Treiben abgethan, im Hofdienste des Kur-
fürsten Adolph von Nassau zubrachte.) Sodann tritt in ihm, wie es über-
haupt bei dem Erfinder einer so schwierigen Kunst nicht anders gedacht
werden kann, ein lebhaft grübelndes Wesen hervor, welches wir schon
früh, ehe er die grosse Erfindung zur Vollendung gebracht (namentlich
während seines Aufenthalts in Strassburg), mit allerlei geheimen Künsten
beschäftigt erblicken, und welches, in mannigfachen Versuchen sich ab-
mühend, den Ruin seines Vermögens zur Folge hatte. Zugleich aber hat
dies grübelnde Wesen eine gewisse einseitige Abgeschlossenheit, indem
ihm wenigstens der künstlerische Sinn, welcher eine geschmackvollere, zier-
lichere Ausbildung der Erfindung hätte herbeiführen können, entsthißden
zu fehlen scheint. (Man vergleiche in dieser Beziehung die von ihm ge-
fertigten Lettern mit den prachtvollen und höchst schönen, die das erste
AuftretenPetei- Schöffefs bezeichnen.) Diese beiden charakteristischen
Eigenthümlichkeiten, die Vornehmheit des Geschlechts und des Geistes,
und der unruhige, geheimnissvolle, halb zum Phantastischen geneigte
Drang des Gemüthes wären es also, die wir in der Gestalt Gutenbergs
vor Allem erwarten, und die uns somit etwa eine ähnliche Erscheinung.
wie die Albrecht Dürer's, vergegenwärtigen müssten. Von Beidem aber
tritt uns in Thorwaldserfs Figur nur Weniges entgegen.
Wenden wir uns nunmehr zu dem zweiten der vorliegenden Blätter,
welches die beiden Reliefs des Piedestals darstellt und in diesen die beiden
Hauptmomente der Ertinduhg zusammenfasst. Das eine zeigt die Zusam-
mensetzung von Worten durch einzelne Lettern. An einem Tische, auf
dem ein schräges Pult steht, sitzt Gutenberg (an seinem langen Barte er-
kennbar) und weist einem Manne, der sich an der andern Seite des Tisches
auf eine mit verkehrter Schrift bezeichnete Tafel lehnt vermuthlich
Fust eine der Lettern. Das andre Relief stellt die Arbeit der Presse
dar. Ein junger Arbeiter ist beschäftigt, die Presse zu drehen; vor der-
selben lehnt Gutenberg und betrachtet einen gedruckten Bogen; andres
Druckgeräth wird daneben sichtbar; oberwärts ist eine Anzahl von Druck-
bogen auf einer Leine zum Trocknen aufgehängt. In der Reliefdarstel-
hing, in dem Symbolischen, welches ihre Behandlung erfordert, musste
Thorwaldsens Genius unstreitig ein ungleich angemcssueres Feld finden,
und so sehen wir hier denn auch- im Einzelnen sehr grosse Vorzüge;
namentlich die Gestalt des Gutenberg auf dem zweiten Relief ist von einer
Schönheit, Ruhe und edlen Harmonie, wie diese Eigenschaften nur den
trefflichsteu Compositionen des Meisters eigen sind. Doch können wir
auch hier nicht ganz umhin, Ungehöriges zu rügen, vornehmlich was die
Beiwerke des ersten Reliefs betrifft. Hier hat der Bildhauer die mittel-
alterliche Zeit specieller charakterisiren wollen und demgemäss die Sei-
tentlächen des Tisches und des Pultes mit gothischem Rosettenwerk reich-