Sculptur.
norwaldsens
Werke.
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heiten des einen, noch die des andern zu entwickeln gestattet, beide be-
schränkt und eine nicht ganz erfreuliche Leere der Formen zu Wegg bringt
Es scheint die Absicht des Künstlers gewesen zu sein, die Besonderheiten
des mittelalterlichen Kostüms, als beschränkend für die Entwickelung der
Körperformen, soviel wie möglich aufzuheben; aber der reivllßre Schmuck,
zu dem dasselbe hätte Veranlassung geben können, wäre nach unsrer
Ansicht sehr wohl geeignet gewesen, die eben angeregten Missstände durch
eigenthümliche Vortheile zu ersetzen. Denn eben dadurch, dass der Künst-
ler fast alles hesondre Detail des Kostüms verschmäht hat, entbehrt die
Figur zugleich der näheren historischen Bezeichnung, sowohl in Rücksicht
auf die Zeit, welcher der Dargestellte angehört, als der eigenthümlichen
Stellung, welche er in dieser seiner Zeit einnahm, ohne dass doch statt
dessen der Eindruck einer idealen Gestalt erreicht worden wäre. Das
Einzige, was an besondres Kostüm erinnert, ist der weite Rock mit dem
Pelzkragen, die Schuhe und der Hosenlatz.
Nächst dieser Frage nach dem historischen Charakter, der bei dem
Standbilde eines historisch bedeutenden Man_nes erforderlich ist, haben
wir die Art und Weise, wie uns sein persönlicher Charakter vorgeführt
wird, in Erwägung zu ziehen. Auch die Ausprägung des letzteren ist hier
nicht so entschieden, so individuell prägnant, dass sie unser näheres Inte-
ressc, unsre persönliche Theilnahme erwecken könnte. Nur jene allgemei-
nen Eigenschaften, von denen im Obigen bereits gesprochen wurde, nur
eine kraftvoll männliche Würde, zugleich eine gewisse milde Ruhe treten
uns entgegen. Auch die Züge des Gesichts, als des verständliehsten Spie-
gels der Scele, geben uns nicht mehr Eigenthümliches; wir haben hier
nur jene Form des langen zwiegespaltenen Bartcs, als mit dem adligen
Charakter des Mannes wohl übereinstimmend hervorzuheben. (Ob die von
Manier nicht freie Behandlung der Haare in den kurzen Locken des Haupt-
haares und im Bart dem Zeichner des vorliegenden Blattes, oder ob sie
dem Modell des Bildhauers zuzuschreiben ist, können wir nicht entschei-
den.) Allerdings scheint es, als ob es zur Abweisung unsrer Ansprüche
zu entgegnen genüge, dass kein authentisches Portrait von Gutenberg 1),
keine Beschreibung seiner Gestalt, auch nur verhältnissmässig Weniges
aus der Geschichte seines Lebens bekannt ist. Aber auch dies Wenige,
was wir über ihn wissen, giebt uns gleichwohl ziemlich sichere Ziige, aus
denen, mit einiger künstlerischen Divination, sehr wohl eine bestimmte.
1) Auf den Namen eines authentischen Portraits dürfte jenes im Kupferstlch
vorhandene Bildniss Gutenbergs, dessen Original sich, wenn ich nicht sehr irre,
auf der Bibliothek zu Strassburg heiindet und welches auch auf mehreren ihm
zu Ehren geprägten Medaillen wiederkehrt, keinen Anspruch haben. Das Kostüm
die breite Halskrause , der polnische Schniirrock, die geschlitzten Pelzarmel
ist auf keine Weise das derZeit, sondern gehört bereits etwasdem siebzehnten
Jahrhundert an Auch ist Thorwaldsen, wie wir gesehen haben, diesem Kostume
nicht gefolgt; doch scheint er dem Bildniss jenen langen zwiegespaltenen Bart
und die, ebenfalls ein wenig befremdliche runde Pelzmütze entlehnt zu haben.
Auf den Reliefs des Piedestals ist die Figur Gutenbergs mit derselben l?elz-
inütze bedeckt, die jedoch hier mit einem nach hinten überhangeuden Zipfel
versehen ist. Ob dieser Zipfel auch bei der Statue beibehalten ist, kann aus
der vorliegenden Vorderansicht derselben nicht mit Sicherheit geschlossen wer-
den, Sollte es aber der Fall sein und die Form_ der Miitze auf den Reliefs
lässt es so verniuthen, so dürfte dies fiir die Seitenansicht der Statue kein
sonderlich günstiges Motiv bildßn-