Volltext: Kleine Schriften über neuere Kunst und deren Angelegenheiten (Bd. 3)

vertheilliaften Rufes erfreuen, einen anschaulichen Begriff zu bekommen, 
Es stellt eine Wachstiguren-Bude dar. Durch die geöffneten Vorhänge 
der Thür sieht man zur Linken auf die Gasse hinaus, in welche ein furcht- 
barer Regenguss niederströmt. Ein Offizier hat sich, ansserhalb, dicht in 
die Vertiefung der Thüre gedrängt, um einigermaassen vor dem Regen 
geschützt zu sein; eine Frau mit einem Schirme und ein Kind wanken in 
weiterer Ferne mühsam durch das Unwetter fort. Auch in das Innere der 
Bude (lringt der Regen ein. Zunächst an der Tbür steht der Direktor und 
blickt zu den hängenden Wolken empor, durch welche die Besucher seiner 
Kunstschätze fern gehalten werden; das romantische Kostüm, das ihn von 
den gewöhnlichen Klassen der bürgerlichen Gesellschaft unterscheiden soll, 
hat er einstweilen noch mit einem bedeutend abgetragenen Oberrockc be- 
deckt. Mit untergeschlagenen Armen, in der Hand den langen Stab, der 
die einzelnen Wachsfiguren zu bezeichnen dient, schaut er hinaus; auf 
seinen Lippen schwebt ein ziemlich lesbarer Fluch. Hinter ihm, in der 
Mitte des Bildes, sieht man die Gruppe seiner Aügehörigen, Die Haupn 
Iigur ist die Altmutter der Gesellschaft, die, prächtig bettelhaft geschmückt, 
auf einem Lehnstuhl sitzt und die Kasse der Gesellschaft auf ihrem Schoosse 
hält; wahrscheinlich verwaltet sie das wichtige Geschäft des Einkassirens. 
Die Schatulle ist geöffnet; sie zeigt deren Inhalt, der nur aus einigen 
Kupfermünzen besteht. Das regt die Uebrigen, vornehmlich die Aelteren, 
zu mannigfachen Betrachtungen an. Alle diese sind mit den fabelhaftestcn 
Kostümen angcthan; sie tragen Musik-Instrumente in den Händen und 
scheinen bei den Präsentationen der Wachspuppen, in Uebercinstimmuug 
mit dembphantastischen Charakter der letzteren, als Orchester zu fungiren. 
Man sieht unter ihnen eine jugendliche Schöne, auf deren knöchernem 
Halse die dicken Glasperlen eirge Schlagschatten werfen, auf der einen 
Seite am Boden sitzen; sie trägt eine halb türkische Kleidung und streicht 
die Geige. Auf der andern Seite sitzt einer, imyKostürn eines amerikani- 
sehen Wilden, der sich, im unbefangenen Widerspruch zu seinen braunen 
Haaren, einen langen schwarzen Bart vorgebunden hat; er ist beschäftigt, 
eine alte Lampe zu scheuern. Ein altes Weib im Grunde prüft die Töne 
ihres Fagotts. U. s. w. In allen Physiognomieen ist der Charakter des 
vagabundirenden Lebens neben dem Ausdrucke des Verdrusses und Aer- 
gers oder einer gedankenlosen Gleichgültigkeit. vortrefflich dargestellt; das 
karikirt Phantastische ihrer gesammteu Erscheinung bildet einen scharfen 
Contrast mit dem Gepräge der Dürftigkeit und Rohheit ihrer Existenz. 
Hinter ihnen erhebt sich die Gallerie der Wachsiiguren, jener verwunder- 
lichen Gebilde, die, wie sie den wirklichen Nahrungsquell dieser Gesell- 
schaft ausmachen, so zugleich über ihr halbverwildertes Treiben den 
Schimmer einer seltsamen Poesie auszugiessen scheinen. Da sieht man 
Judilh mit dem Hanpte des Holofernes, dessen verdrehte Augen durch das 
Dunkel leuchten; daneben die keusche Susanne im Bade und Zu ihren 
Seiten die beiden alten Sünder; dann eine Assemblee türkischer Sultane; 
französische Notabilitäten, u. s. w. Ein Diener steckt eben die Lampen 
vor den Figuren an, so dass das glänzende Wachs der letzteren und ihre 
bunten Kostüme in glitzcrndem Scheine aufblinken.  Wie endlich Alles, 
was den poetischen 'l'heil des Bildes anbetrifft, so ist nicht minder die 
gcsammtc malerische Technik von grossem Verdienste. Die Totalwirkung 
ist durchaus klar und erfreulich, die Zeichnung sicher und bewusst, die 
Pingßlführung leicht und geistreich. Die Behandlung des ilelldunkcls
	        
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