Compositionen.
Ueber geschichtliche
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entgegen; die Charaktere der Gestalten sind im Wesentlichen trefflich den
verschiedenen dargestellten Bildungsepochen gemäss aufgefasst, das ganze
Element des Kostüms ist mit der grössten Treue behandelt und auch da,
wo es an genaueren Vorbildern fehlte, in den frühsten Epochen, mit
glücklichem Sinne geistreich erfunden: so dass aus allen diesen Umständen
die in Rede stehenden Blätter in den Geist der verschiedenen Epochen
und Verhältnisse, welche sie darstellen, einzuführen wohl geeignet sind.
Aber wir haben im Vorigen von einer höheren, wahrhaft künstleri-
schen Behandlung geschichtlicher Aufgaben, sofern sie die Geschichte in
ihrer tiefern Bedeutung auffassen und dem Sinne anschaulich darstellen
sollen, gesprochen; es frägt sich, wie dieser Behandlung in den vorliegen-
den Lithographieen genügt ist. Gewiss fehlt es dem Künstler nicht an
jenem stylistischen Elemente, welches den Gegenstand in einer würdigen
Weise zu erfassen fähig ist. Einzelne Gestalten erscheinen in einer schö-
nen, grossartigen Bildung der Formen, in einer lauteren, gesetzmässig
geordneten Gewandung, einzelne Compositionen in so treftlicher Weise
gruppirt, in ihren Haupttheilen dem inneren Gedanken der Darstellung und
seiner Entwickelung so gemäss angeordnet, dass sie an sich schon dem
Sinne des Beschauers eine wohlthuende Befriedigung gewähren. Aber
noch wird die Nothwendigkeit dieser höheren Auffassung nicht überall
ersichtlich, wenn schon in der Folge der Blätter selbst ein Fortschritt zur
grossartigeren Anordnung hervorleuchtet; noch erscheint dieselbe als ein
fast zufälliges Ergebniss und im Gegentheil (wie insgemein bei jungen
Künstlern von bedeutendem Talent) das Element der Charakteristik über-
wiegend, so dass durch den Einfluss des letzteren die höhere Ruhe des
Ganzen häufig gebrochen wird; ebenso ist noch zu viel Sorge auf die
historische Genauigkeit des Kostüme, d. h. auch auf alle äusserlichen
Zufälligkeiten desselben gewandt, im Einzelnen jene höhere Würde der
historischen Darstellung beeinträchtigend. Endlich auch ist die Auswahl
eines Theiles dieser Darstellungen nicht diejenige, welche in die 'l'iefen
der Geschichte hinabsteigt und die Elemente ihres geistigen Lebens zur
Gestaltung bringt; vielmehr sind es zum Theil wiederum nur jene
mehr äusseren repräsentativen Akte, die der Künstler uns verführt. Doch
sind einzelne Darstellungen vorhanden, welche den Geist der Geschichte
anschaulich entwickeln, und gerade sie haben zur treffllichsten künstleri-
schen Behandlung Gelegenheit geboten. Eine flüchtige Uebersicht der
Blätter möge zur näheren Motivirung dieses Urtheils dienen.
Titelblatt (Federzeichnung). Arabeskenartig in einer gothischen
Architektur angeordnet, die aus knorrigen Baumstäben und Aesten gebil-
det wird. Einzelne darein vertlochtene Figuren bezeichnen die Haupt-
momente der brandenburgisch-preussischen Geschichte und vereinigen sich
zu einem ruhigen und gleichmässigen Ganzen. Vorzüglich schön ist die weib-
liche Gestalt imGiebelraume, welche die Geschichte personificirt; sie ist in
1101181121 Alter dargestellt, sitzend und in ein grosses Buch schreibend, in
weite Gewande gehüllt, deren Faltenwurf in rneisterhafter Gemessenheit
durchgeführt ist; die ganze Figur ebenso würdig wie voll höchst energi-
scheu Lebens. Nicht minder trefflich die allegorische weibliche Figur zur
rechten Seite des Blattes, deren Bedeutung die untergeschriebene Jahrzahl
1815 angiebt: im Lederharnisch, mit aufgeschürztem Unterkleide, ein
Bärenfell als Mantel, in der Rechten eine Keule, in der Linken einen
Kreuzstab mit einem Eichenkranze haltend; eine ebenso kräftige wie an-