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Berichte,
Kritiken,
Erörterungen.
denkens, welches wir auf der letzten Berliner Ausstellung sahen) malt
eine Ritterschlacht mit lauter gesenkten Visieren, obgleich dem scrupulö-
sen Beschauer dabei die geringe Sorge gegen die umhertliegenden Pfeile
beängstigend sein möchte; keiner führt, wenn nicht etwa eines beabsich-
tigten komischen Effektes wegen, jene aus hundert Ellen Zeug zusammen-
gebauschten Kleider vor, welche im sechzehnten Jahrhundert Mode wurden.
Für die neuere Zeit haben diese Modiiicationen freilich ihre missliche
Seite, theils weil der Beschauer den Begebenheiten noch zu nahe steht
und somit mehr reale Wirklichkeit verlangt, theils weil das Kostüm selbst
den Gesetzen der Schönheit ferner steht. Aber eben dies Letztere macht
auch hier eine freiere Behandlung doppelt nöthig, falls überhaupt ein
Werk der Kunst, das mehr ist als ein blosses Abbild der realen Wirk-
lichkeit, hervorgebracht werden soll. 1)
Zu diesen Betrachtungen veranlasst uns eine Reihenfolge lithogra-
phischer Blätter, die. von einem jungen Künstler herrührend, in nicht
unbedeutenden Dimensionen (gross F01.) ausgeführt und jüngst der Oeifent-
lichkeit übergeben sind:
Denkwürdigkeiten aus der Brandenburgisch-Preussischen
Geschichte, in 12 Blättern componirt und lithograplnirt von A. Men-
zel, mit erläuterndem Text von Dr. Friedländer, herausgegeben von
L. Sachse 8c Comp., Kunst-Verlagshandlung in Berlin.
Das grosse Interesse des Gegenstandes, der würdige Zweck und das
vorzügliche Talent, welches sich hier in Erfindung und Ausführung aus-
spricht, fordern zu einer nähern Betrachtung und Werthschätzung dieser
Blätter auf, indem wir keinen Anstand nehmen, den höchsten Maassstab
an sie anzulegen. Das erste nothwendigste Bedingniss einesjeden Kunst-
werkes, dasjenige, welches sich nie durch Lehre und Studium gewinnen,
nur ausbilden lässt: ein durchgreifendes inneres Leben tritt uns überall in
diesen Darstellungen entgegen; jede Gestalt, wenn auch im Einzelnen
an ihr Mängel bemerklich sind, jedes Motiv der Bewegung ist voll-
kommen wahr, frei und innerlich empfunden; nirgend wird eine kalte,
willkürliche Berechnung des Verstandes, nirgend ein Streben nach äusser-
lichem Effekt sichtbar. Diese frische Lebendigkeit steigert sich sodann,
in nicht minder wirksamer Weise, zu einer mannigfach durchgebildeten
Charakteristik; keine Figur ist müssig oder der blossen Schanstellung
wegen vorhanden; einer jeden ist das Bild einer bestimmten Persönlich-
keit aufgeprägt, die nach ihrer Weise an dem Vorgange, welchen die ein-
zelne Darstellung enthält, mit Bewusstsein und eigenthümlichem Interesse
Theil nimmt. (Nur hie und da wird eine gewisse Monotonie in der etwas
schweren und breiten Form der Gesichter bemerkbar, welche gleichwohl
zum Theil durch anziehende Gegensätze gemildert ist.) Endlich tritt
überall ein höchst lobenswerthes historisches Studium dem Beschauer
1) Nachträglich. Das eben Gesagte wird für viele Fälle des Einzelnen
seine Richtigkeit behalten. Im Ganzen aber ist die Sache allerdings noch tiefer
zu fassen. Es handelt sich nicht bloss um die Form, sondern zugleich um die
Gesetze einer grossan malerischen Gesammthaltung; in diese wird unter Um-
Sjänden auch das formal {viderstrebende Einzelne aufgehen können. (Die eigent-
hch ßßschichtliche Kunst ist erst von jüngstem Datum.)