Uebe: die gegenwärtigen Verhältnisse der Kunst zum
Leben.
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würde vielleicht dem Leben eine Freude mehr, der Kunst an sich aber
gewiss noch nicht der nothwendige tiefere Grund, das bedeutendste Ver-
hältniss, welches sie zum Leben einzunehmen hat, gewonnen sein.
Den Kunstausstellungen zur Seite und in Wechselwirkung mit ihnen
steht eine andre Einrichtung, welche ebenfalls ausgezeichnete Wirkungen
hervorgebracht hat, und welche ganz und gar der neusten Zeit angehört:
die der Kunst-Verein e. Sie vor Allem haben sich als die Träger und
die Organe des öffentlichen Interesse für die Kunst und der besondern
Richtung, welche letzteres angenommen hat, herausgestellt, und sie erfor-
dern demnach, wenn es sich um die Kunstverhältnisse der gegenwärtigen
Zeit handelt, eine sorgfältig genaue Beachtung. Auch an ihre Erscheinung
dürfte vielleicht noch ein oder der andre Wunsch anzuknüpfen sein.
Als, vor wenig über zehn Jahren, die ersten Vereine dieser Art ins
Leben traten, so konnte man gewissermaassen nur versuchsweise beginnen;
man wusste nicht, wie weit sich die Theilnahme des Publikums anschlies-
sen, wie tief das Unternehmen selbst in die 'l'hätigkeit der Kunst eingreifen
würde. Vor Allem war man bemüht, denjenigen Künstlern, welche das
Zeugniss höherer Befähigung gegeben hatten, die jedoch durch die noch
geringe öffentliche Theilnahme grösstentheils zu niederen Dienstleistungen
im Gebiete der Kunst genöthigt waren, Gelegenheit zur freieren Entfaltung
ihrer Kräfte zu geben. Die solcher Gestalt gewonnenen Werke mussten
untergebracht werden, und es war ganz in der Ordnung, dass diejenigen,
durch deren Beihülfe die Ausführung derselben möglich gemacht war, sie
sich durch's Loos aneigneten.
Bald jedoch stellte sich das Verhältniss anders. Jener erste Beginn
weckte die ausgebreitetste Nachfolge; ein lebhaftes Verlangen nach Kunst-
genuss, dessen Dasein man unter der Decke einer trägen Gleichgültigkeit
nimmer ahnen konnte, erhub sich aller Orten, Vereine erstanden auf Ver-
eine, begüterte Privatpersonen traten mit ihnen in den Wettkampf, und
wie gross auch die Anzahl neuer, eigenthümlicher Kunstschöpfungen war,
welche wir gleichzeitig, wie durch einen Zauberschlag, hervorgerufen
sahen, so konnte sie doch das allseitige Verlangen nicht genügend befrie-
digen. Jetzt galt es nicht mehr, hiilfsbedürftige Künstler zu unterstützen.
Man liess allenfalls, gewissermaassen ehrenhalber, einen solchen Paragra-
phen am Eingange der Vereins-Statuten stehen; aber alle Absicht war nun
auf eignen Besitz gerichtet. Die beliebtesten Künstler empfingen Bestel-
lungen auf lange Jahre voraus; die Vereine wurden von der Menge als
Lotterie-Gesellschaften für Kunstwerke betrachtet.
Gewiss ist ein solcher Zweck an sich nicht gemein und verwerflich;
gewiss gehören die Werke der Kunst zu den edelsten Besitzthümern, tra-
gen die in ihnen angelegten Kapitalien hohe und stets sich vermehrende
Zinsen. Und da es nur Wenigen vergönnt ist, die Summe, welche ein
originales Kunstwerk kostet, mit Bequemlichkeit zu entbehren, da auch
wohl erst Wenige gelernt haben, dass man für den Genuss, welchen ein
Kunstwerk gewährt, andern Genüssen entsagen könne; so ist in der That
schon der Eröffnung der Möglichkeit, durch das Loos mit dem Begitze
eines Werkes für geringen Beitrag beglückt zu werden, die Anerkennung
nicht zu versagen, Oder noch besser: da eben diese neuerwachte Kunst-i