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Ueber
gegenwärtigen
die
Verhältnisse
der
Kunst zum Leben.
serst durchgebildeter Weise von einer mehr oder minder reichen Ornamentik
durch mannigfache Stufen bis zu wirklichen Gemälden fortschreiten, wie
in letzteren fast durchgehend ein gewisser dekorativer Typus herrschend
-_bleibt und wie sie fast sämmtlich auf bestimmte Original-Compositionen
zurückdeuten, welche mit grösserer oder geringerer Freiheit benutzt, mit
grösserer oder geringerer Leichtigkeit nachgebildet sind. Dies soll einst-
wgilgn nur 3,18 Andeutung gelten, da die dekorative Malerei, deren Be-
stimmung es ist, in das Privatleben einzudringen, den Sinn an einen
klaren, gesetzmässlgen Schmuck der Räume zu gewöhnen und somit das
Bedürfniss nach einer künstlerischen Gestaltung der Umgebungen im wei-
testen Kreise zu verbreiten, bei uns nur erst geringe Anfänge gemacht,
mithin eine eigenthümliche Richtung noch kaum angefangen hat, und das
Meiste noch dem ungebildeten Handwerker überlassen bleibt. Aber, wenn
gleichwohl aus den vorhandenen, im Einzelnen doch schon sehr beach-
tenswerthen Anfangen geschlossen werden darf, so ist in der That zu hoffen,
dass sich auch diese Seite der Kunst schnell und mit entschiedenem Bei-
fall des Publikums entwickeln würde, falls sich bedeutende Talente, statt
ihre Kräfte an Compositionen zu verschwenden, zu deren Durchführung
das Genie einmal unumgänglich nöthig ist, mehr einer solchen, für sie
gewiss ehrenvolleren Wirksamkeit zuwenden wollten.
In Rücksicht auf diese nothwendige Unterscheidung zwischen Genie
und Talent würden sich noch manche besondre Differenzen zwischen Leben
und Kunst in einer, wie es scheint, sehr einfachen Weise lösen. Vor allen
gehören hieher die in neuerer Zeit so viel besprochenen und so viel ange-
fochtenen akademischen Lahr-Institute. „Ihr erzieht Künstler, sagt
man, ohne zu fragen, ob das Leben ihrer künftig bedürfen wird; ihr bildet
sie nach euren beschränkten, einander sogar oft widersprechenden Ansich-
ten , statt sie dem Lehrgangc, welchen ihnen die Natur und ihr eignes
inneres Gefühl vorschreiben, zu überlassen, statt dass sie praktisch unter
den Augen eines tüchtigen Meisters, in der Theilnalnne an seinen Arbei-
ten, sich selbst die nöthige Fertigkeit zu erwerben bemüht sein sollten."
Allerdings liegt hierin manches Wahre, aber nur unter jener falschen
Voraussetzung, dass ein Genie gemacht werden könne. Ich will nicht be-
haupten, dass diese Voraussetzung nicht von manchen Akademieen des
vorigen Jahrhunderts getheilt werden, und dass somit die Opposition, welche
namentlich Carstens hervorrief, ganz grundlos gewesen sei. Sollte dies
noch gegenwärtig das Streben der Akademieen sein, so dürfte es allerdings
etwas bedenklich scheinen; sollte indess (wie es im Allgemeinen bereits,
den gegenwärtigen Zeitverhältnissen gemäss, nicht anders sein kann) nur
die Absicht verwalten, dem als vorhanden vorausgesetzten Genie die nöthige
Ausbildung und vornehmlich die Fundamente einer solchen, zu geben, so
stellt sich die Sache schon anders. Werfen wir in dieser Rücksicht nur
einen flüchtigen Blick auf einen beliebigen akademischen Lehrplan und auf
die darin angeführten Gegenstände des Unterrichts. Die verschiedenen
Classen des Zeichen-Unterrichts nach den verschiedenen Fächern der Kunst,
von den einfachsten Vorbildern ab bis zum Zeichnen nach Gyps-Abgüssen,
nach anatomischen Präparaten und dergl. und bis zum Zeichnen und M0-
delliren nach dem lebenden Modell; der Unterricht in den höheren Stufen,