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Ueber dih gegenwärtigen
Leben.
Verhältnisse der Kunst zum
Vielleicht, dass diese Bemühungen zu einer gänzlichen Wiederherstellung
jenes gestörten Verhältnisses zwischen Kunst und Handwerk führen: mit
grösserer Sicherheit werden die schönen Folgen derselben für das Leben
vorherznsagen sein, wenn auch die Kunst von ihrer Seite ebenso die Hand
zur gegenseitigen Verbindung bietet. Die Nothwendigkeit dieses Beginnens
ist jedoch von Seiten der Künstler noch wenig anerkannt; aber gerade
hievon dürfte einer der wichtigsten Punkte für eine allgemeine, durchgrei-
fende Verbreitung des künstlerischen Sinnes abhängig sein. Gestatten es
die äusseren Verhältnisse und das innere Gefühl, dass die Künstler wie-
derum sich dem Bereiche des Handwerkes annähern, zum Theil in dasselbe
hinabsteigen, von ihm ausgehend ihre Bildung empfangen, dass in solcher
Weise die Kunst mehr nur als eine höhere Potenz des Handwerkes gilt,
so wird aller belebende Einfluss der Kunst auf das Handwerk wiederum
unmittelbar und von selbst statt finden, wird das Handwerk wiederum als
eine niedrigere Potenz der Kunst, somit als ihr angehürig, betrachtet
werden müssen.
Und in der Tbat liegt in dieser Anforderung an die Künstler nichts
Beschämendes oder Erniedrigendes, vielmehr steht damit ihr eigner äusse-
rer Vortheil, ebenso wie der innere, in nächster Verbindung; es ist dabei
nur nöthig, dass man dasjenige, was die eigentlich höhere künstlerische
Thätigkeit bedingt, ins Auge fasst. Zur Hervorbringung eines höheren,
selbständigen Kunstwerkes gehört, als das wesentlichste Erforderniss,
Genie, d. h. jene wunderbar geheimnissvolle Kraft, welche ein geistig
Belebtes in körperlicher Form darzustellen vermögend ist. Zur weiteren
Vollendung des Kunstwerkes sind sodann noch allerlei andre Dinge nöthig:
eine sichere Technik, ein gebildeter Geschmack, ein bestimmter Grad
wissenschaftlicher Kenntnisse u. dgl. rn.; aber sie alle sind nicht, wie das
Genie, im Stande, ein selbständiges Leben zu erzeugen. Wie selten aber
ist diese höhere Kraft, wie ungewiss ist es, ob sie bei allgemein künstle-
rischer Anlage sieh entwickeln, 0b sie die Dauer eines Lebens hindurch
bei dem Begünstigten verweilen werde! Die Kunstgeschichte bietet uns
merkwürdige Beispiele, wie das Genie, während es das Leben des einen
von friihster Zeit an umleuchtete, bei dem andern erst in später Zeit her-
vorbrach, bei dem dritten in der Jugend zwar Herrliches wirkte, aber
nachmals schnell entschwand. Auf das Ausserordentliche, das eben in den
Wirkungen des Genie's liegt, einen Lebensberuf gründen zu wollen, dürfte
sehr gefährlich sein , und gerade in einem solchen absichtlichen Streben
ist, wie bereits bemerkt, der Grund jener Verfeindung, der zwischen Kunst
und Leben eingetreten war, zu suchen. Dem Genie gegenüber steht das
Talent, d. h. die allgemeine künstlerische Anlage, die Fähigkeit,
Formen und Gestalten, wie sie die Natur geschaffen oder das Genie vor-
gebildet, nachzubilden und dieselben auf mannigfache Weise, sei es in
Geräthen des Handwerkes, sei es als einen freieren Schmuck, in die Kreise
des Lebens einzuführen. Das Vorhandensein des Talentes ist überall
leicht zu erkennen, es ist durch die Schule auszubilden, es ist auf dasselbe,
sofern es sich in der eben angedeuteten praktischen Richtung erhält, gewiss
mit Sicherheit ein Lebensberuf zu gründen. Aus dem Talent möge sich
das Genie entwickeln und dieses alsdann seine höhere Bahn beginnen,
die Verwechselung beider kann nur von verderblichen Folgen für die
Kunst sein. Freilich ist zuzugeben, dass das Talent, in der Nähe des
Genies, leicht von dessen Richtung intluenzirt wird und auf solche Weise