Ueber die gegenwärtigen Verhältnisse der Kunst zum Leben.
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der Empfänger und Besitzer bemerkbar; es ist möglich, dass deren Sinn,
bei anderweitig hinzutretenden äusseren Verhältnissen, auf eine andre
Richtung hinübergelenkt werde, eine andre Liebhaberei an die Stelle der
Interessen für Werke der Kunst trete. Eine zureichende Sicherung dieser
Interessen ist nur in dem Falle denkbar, wenn, wie im Obigen angedeutet
wurde, auf der einen Seite auch das gemeine Bedürfniss des alltäglichen
Verkehrs künstlerische Gestalt annimmt, auf der andern mit Ernst und
Liebe auf die Herstellung künstlerischer Monumente gedacht wird.
Diese Umstände waren es, welche vornehmlich den vergangenen grossen
Blütheperioden der Kunst, am Schlusse des Mittelalters, und ganz beson-
ders der griechischen Kunstepoche, zu Grunde lagen. Werfen wir nur
einen Blick auf das, wasruns an Bildungen menschlicher Hand aus dem
griechischen Alterthum erhalten ist, welch eine Fülle künstlerischen Sinnes
tritt unshier überall entgegen, wie ist Alles, sei es so gering oder so be-
deutend, wie es wolle, von diesem Sinne so ganz durchdrungen, so ganz
in denselben aufgelöst! Die geringste Lampe ist in einer geschmackvollen
Form aus der Hand des Töpfers hervorgegangen, das geringste Gefass in
einem Schwnnge der Linien gebildet, mit mannigfachem Schmucke ver-
sehen, welcher den feinsten Sinn für lebenvolle Gestaltung verräth. Das
erhabenste Monument, der Tempel der Gottheit, ebenso die Grabstätten,
die Ehrendenkmale u. s. w. tragen durchweg den Stempel des edelsten
Geistes, sind geradezu der Ausdruck desselben. Der Schmuck der Wohn-
räume (wie uns Herculanum und Pompeji das nächste Beispiel bieten) ist
in einer Gemessenheit, in einer innerlichen Consequeuz durchgeführt, wie
wir nichts Aehnliches in gleichem Maasse aufzuweisen vermögen. Und
diese innerliche Durchbildung der Kunst war in sich so kräftig, so fest
gegründet, dass sie noch lange, nachdem der hohe und edle Sinn ihrer
Schöpfer bereits erloschen, nachdem politisches und moralisches Verderben
hereingebrochen war, der gänzlichen Ausartung zu widerstehen vermochte,
dass ihr ursprünglicher Adel immer, auch in den spätesten Werken der
Römerzeit, noch hindurchleuchtet.
Mit einer solchen Erscheinung dürfen wir die künstlerischen Verhält-
nisse unsrer Zeit nicht vergleichen; auch nicht mit jener späteren Kunst-
epoche am Schlüsse des Mittelalters, die das Leben in ähnlicher Weise,
wenn freilich wohl nicht in ebenso entschiedenster Bedeutsamkeit, durch-
drungen hatte. Ja, es ist oft behauptet worden, dass unsre Zeit zur Her-
vorbringung dieser Erscheinungen überhaupt nicht geeignet sei, dass andre
Interessen gegen eine solche allgemeine Verbreitung eines künstlerischen
Sinnes im direkten Widersprüche standen; die hohe Entwickelung der
modernen Philosophie, die Blüthe der mechanischen Industrie werden
beide, von verschiedenen Seiten her, als die Hauptgegner einer grossartigen
künstlerischen Entwickelung angeführt. Gewiss ist es freilich, dass die
Einfalt des antiken Lebens, wie die des Mittelalters, die klare, ruhige
Ausbildung der Kunst von vorn herein ungemein begünstigte, dass die
Zcrspaltung der modernen Zeit einer solchen Begünstigung im Wege steht.
Doch dürfte es wohl denkbar sein, dass die Gegenwart, bei so ganz ver-
schiedenen Bildungsverhältnissen, vielleicht auf einen entgegengesetzten
Weg der Entwickelung hingewiesen ist, dass hier die Kunst nicht unmit-
telbar aus unbewusstem Gefühle hervorgehen, vielleicht mehr auf einem
Umwege, an den Beispielen der Vorzeit grossgezogen, an das Leben der
Kugler, Kleine Schriften. m. 14