die gegenwärtigen
Ueber
Verhältnisse
zum Leben.
Kunst
der
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lrcibhausptlanze dastehen soll. Durch alle Kreise der Gesellschaft muss
das Gefühl, die Ueberzeugung verbreitet sein, dass die Kunst zu den we-
sentlichen Interessen des Lebens gehöre, dass ohne sie das irdische Dasein
nicht seiner Vollendung entgegenzuführen sei. Ohne das allgemeine B3-
dürfniss nach einer künstlerischen Gestaltung des Lebens ist eine vollen-
dete Blüthe der Kunst nicht denkbar.
Fragen wir nun, wo diese künstlerische Gestaltung des Lebens zur
Erscheinung kommen müsse, so ist die einfache Antwort: Ueberall eben,
wo die Thätigkeit des Lebens in einer körperlichen, dem Sinne fassbaren
Form hervortritt. Wenn der Form das Gepräge des Geistes gegeben wird,
wenn sie nicht bei den rohen, materiellen Bedingnissen verweilt oder sich
nicht einer willkürlichen, gesetzlosen Laune fügt, so zeigt sie das Vor-
handensein der Kunst. Wenn in der Bildung der Form ein innerer,
lebendiger 'l'rieb, ein klares Gesetz, ein harmonisches Verhältniss sichtbar
wird, so ist dies die Andeutung künstlerischen Sinnes, künstlerischer
Thätigkeit. Denn die Kunst hat überall den Zweck, das Bedürfniss, das
niedere wie das hohe, zu reinigen, zu veredeln und zu begeistigen.
Aber die Einwirkung der Kunst zeigt sich verschieden, je nach den
verschiedenen Stufen des Bedürfnisses; es sind deren vornehmlich drei zu
unterscheiden. Die niedrigste Stufe hat es nur mit dem gemeinen Bedürf-
niss, welches die körperliche Existenz des Menschen, die äussere Gemäch-
lichkeit des Lebens hervorruft, zu thun; bei der zweiten kommt es auf
Schmuck, Zierde, Verschönerung der Umgebungen an; die dritte bezieht
sich auf diejenigen Punkte, an welche sich die geistigen Interessen des
Lebens knüpfen, auf diejenigen Stätten, welche einer heiligen Erinnerung,
einer innerlichen Sammlung des Gemüthes gewidmet sind, auf die Errich-
tung von Monumenten. Bei allen dreien ist, sofern es sich um eine all-
gemeine Blüthe der Kunst handelt, die künstlerische Durchdringung gleich
wichtig. Bei der Gründung von Monumenten scheint eine solche am un-
mittelbarsten gegeben, sofern diese eben wesentlich eine geistige Bedeutung
haben und das Gepräge derselben in ihrer äusseren Form zur Schau tragen
müssen; aber diese geistige Bedeutung kann ihnen (wie es auf niederen
Stufen der Kultur insgemcin gefunden wird), statt durch jene Bildung der
Form, welche Gehalt und Erscheinung untrennbar vereint, auch durch
einen äusserlich willkürlichen Act, durch die Hinzufügung von Symbolen,
in die der menschliche Witz eine solche Bedeutung erst hineingetragen,
zuertheilt werden. Bei der blossen Ausschmückung der Umgebungen des
Menschen liegt es schon näher, auf andre Umstände als die künstlerische
Gestaltung derselben Rücksicht zu nehmen: kostbare Stotlie, glänzender
Schimmer, phantastische Dekoration ersetzen hier, bei rohen Zuständen
der menschlichen Gesellschaft (ebenso aber auch bei denen einer ausge-
ßrieien Kultur), diejenigen Motive, welche ein Spiegelbild des geistige"
Lebens sein sollen. Bei dem Geräth und Gerüst des gemeinen Bedürfnisses
endlich scheint der Einfluss des künstlerischen Sinnes am Fernsten zu lie-
gen und erst auf besondrer Höhe der Kultur hereinzutreten.
Dies letztere ist wohl wahr; aber gerade die Rücksicht auf dies Ver-
hältniss ist für die gegenwärtige Betrachtung zunächst am Wichtigsten.
Denn erst da, wo das Auge auch in den Dingen des täglichen Verkehrs,
auch in dem, wovon es stündlich umgeben ist," eine schöne Form, einen
lebendigen, harmonischen Organismus der Gestalt zu sehen verlangt, wird
ein künstlerischer Sinn in seiner allgemeinstcn Ausdehnung ersichtlich.