Deutsche
Ansichten.
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grösseren Theils eine eigenthümliche Auffassung. Die Bilder, welche sie
liefern, schränken sich selten, wie etwa die romantischen Ufer des Rheins,
in ganz enge Grenzen ein; sie machen mehr oder minder einen weiteren
Ueberblick nöthig und geben erst in solcher Weise Gelegenheit zu einer
abschliessenden Gruppirung. Hiebei ist es natürlich viel schwerer, den
günstigsten Standpunkt, der jedesmal die charakteristischen Punkte der
Aussicht in sich fasst, aufzusuchen und das Gefundene zu einer Totalwir-
kung zusammenzufassen, letzteres wenigstens, wenn (wie in den obigen
Blättern] keine Anwendung der Farbe zur weitern Ausführung gestattet
ist und wenn die einfache Zeichnung zugleich alles Einzelne in seiner be-
sondern Eigenthümlichkeit ohne dasselbe vielleicht durch kunstreich
liervorgesuchte Lichteifekte zu beeinträchtigen herausstellen soll.
Diesen nothwendigen Anforderungen kommt die Arbeit des Herrn G.
Osterwald auf eine sehr befriedigende Weise entgegen. Seine reichen
Blätter führen überall ein Ganzes von trefflicher kunstverständiger Anord-
nung vor. Dabei jedoch herrscht durchaus eine freie Naivetät der Auffas-
sung, die uns unmittelbar in die Darstellung einführt; nirgend der Anschein
absichtlich componirter Vorgründe, die anderweitig so oft angewandt wer-
den, um die Ferne zurückzutreiben oder eine dürftige Führung der Linien
zu verdecken. Mit einem eigenthümlich plastischen Sinne ist die Bildung
des Terrains erfasst und anschaulichst dargestellt: die Schwingung der
Flüsse, die Hebung oder Senkung des Erdbodens, das Vorspringen einzel-
ner Hügel oder Bergzüge, dann die von menschlicher Hand hineingetrage-
nen Veränderungen, Abgrenzungen. Wohnstätten, Ruinen, alles dies steht,
auch in tieferer Entfernung, dem Blicke des Beschauers deutlich gegenüber
und das Auge schreitet gleichsam fühlend von einem Gegenstands zum
andern vor. Die Zeichnung selbst ist einfach und hält sich streng in ihren
Grenzen, ohne an das Gebiet der Malerei anzustreifen; wir möchten sie in
dieser Beziehung etwa mit der kräftigen Weise, in welcher die landschaft-
lichen Gründe Dürenscher Holzschnitte oder Kupferstiche gehalten sind,
vergleichen. Dabei ist aber nichts Alterthümliches: die Behandlung der
Kreide zeigt vielmehr eine freie, geistreiche Tecknik, etwa in der Art,
wie die Franzosen ihre landschaftlichen Lithographien anzulegen pflegen,
Die uns vorliegenden Blätter der Weser-Ansichten begreifen deren
erstes und zweites Heft. Sie bestehen im Einzelnen aus folgenden:
Ansicht von Münden. Dem Vereinigungspunkt der beiden Flüsse
Werra und Fulda gegenüber blickt man von der Anhöhe über der Chaussee
in das breite, von mässigen Bergzügen umschlossene Thal hinab. In male-
rischen Windungen strömen die Flüsse von beiden Seiten dem Vorgrunde
zu; zwischen ihnen, auf der Landspitze, die alterthümliche Stadt, unter
dem Schirm eines grosscn Kirchengebäudes ruhend. Die allgemeinen Ver-
haltnisse des geselligen Lebens, wie sie sich unter den lokalen Beding-
mS-Sen geordnet, stellen sich mit Klarheit dar: zur Linken, über der Werra,
die gewölbte Brücke, die Verbindung mit den westlichen Ländern bezeich-
nelldä nahe dabei, mit Erkern und Giebelzinnen sich stolz erhebend, das
ehemalige herzogliche Schloss; weiterhin der räumliche Landungsplatz der
Weserschiife; tiefer im Bilde die kleine Brücke, welche über den Arm der
Fulda führt; der Fusssteig von da über die Fulda-Insel bis zu der Fähre,
die vorn über den Ausfluss der Fulda an das jenseitige Ufer trägt, wo
freundliche Häuser am Saume des Waldes zu ländlichem Vergnügen ein-
laden, u. s. w. Das Ganze augenscheinlich ein Mittel- und Vor-bin-