188
Berichte,
Kritiken,
Erörterungen.
tige Kunst ist nur nach ihrem eignen Maasse zu messen. Suchen wir ver-
wandte Geister, so dürfen wir ihn nur neben Männer wie etwa Lord Byron
oder Beethoven stellen. Er schaltet frei in seinem Gebiete und frei über
die Empfindungen des Beschauers; widerstandlos stehen wir seinen Gemäl-
den gegenüber, er zieht uns hinein in die elegische Trauer, die seine
Landschaften erfüllt, er reisst uns in den gährenden Strom seiner Leiden-
schaft, er vernichtet uns in unsrer Selbständigkeit, und wir müssen seine
Herrschaft anerkennen-
Ein erfreuliches Bild historischen Inhalts ist das Gemälde von H.
Plüddemann, N0. 675: "Columbus erblickt die neue Welt." Es ist ein
figurenreiches Gemälde von verhältnissmässig nicht bedeutenden Dimensio-
nen. Wir sehen das Verdeck des Schiffes vor uns, in der Mitte, an den
Hauptmast gelehnt und etwas erhöht, Columbus, um ihn her die Schiffs-
mannschaft in mannigfach aufgcregter Bewegung. Einige der Rädelsführer,
welche die lange Dauer der ungewissen Fahrt zur Rebellion gegen den
grossen Mann getrieben hat, sind ihm in bittrer Selbstanklage zu Füssen
gestürzt, Andre umarmen sich im höchsten Jubel, Andre suchen erhöhte
Stellen undtwcisen freudig in die Ferne hinauS- Cßlllmbllß Steht Still
unter ihnen, die endliche Erfüllung seiner Hoffnungen, seines Lebenszweckes
regt ihn nicht leidenschaftlich auf, im stummen Dankgebete wendet er den
Blick nach oben. Dieser schöne Gedanke des Künstlers ist um so rühren-
der, als das Gebet aus einer strengen, scharfgezeichneten Physiognomie
hervorbricht, welche das Gepräge- eines eben so tiefen Denkers wie that-
kräftigen Mannes trägt und über welche die Zeit schon ihre Furchen ge-
graben hat. Und wie in dieser Gestalt, so spricht sich in allen übrigen
die reinste Wahrheit der Empfindung, die entschiedenste Individualisirung
aus, welche es leicht vergessen lassen, dass die Gruppirung minder zer-
streut, die Hauptfigur durch bedentendere Liehtwirkung mehr hervorgeho-
ben und das Detail des spanischen Kostüme mit grösserer Freiheit behan-
delt sein könnte. Dies sind Umstände, die der Künstler bei folgenden
Leistungen mit leichter Mühe wird überwinden können; jene innerliche
Kräftigkeit lässt Grosses von ihm erwarten und ist um so mehr anzuerken-
nen, als dieselbe heutiges Tages (wie schon mehrfach angedeutet) nicht
allzu häufig gefunden wird.
Dies ist wiederum der Fall bei einem sonst wohl gearbeiteten Bilde
von H. Stilke „Johanna d'Arc" (No. 947). Die kriegerische Jungfrau,
halbe Figur, steht in voller Rüstung betend vor dem Altar einer Kirche.
Der Untersatz des spitzbogigen Rahmens besteht aus drei kleinen, auf
Goldgrund getuschten Bildern, welche die Weihe der Jungfrau zum Kampf,
eine Scene des Krieges, in der sie als Siegerin über die Feinde erscheint,
und ihr Ende auf dem Scheiterhaufen darstellen. Letztere sind vortrefflich
componirt und von schöner, edler Zeichnung; dem Hauptbilde jedoch fehlt
es, bei sehr sorglicher Ausführung, an energischer Duschdringung der Auf-
gabe: dies Antlitz gehört nicht jener Heldin an, unter deren Schwerte die
Tapfersten des feindlichen Heeres erlegen. Ein zweites grösseres Bild
von Stilke (N0. 948) stellt "Ludolph, Herzog von Schwaben, welcher nach
dem Aufruhr gegen seinen Vater, Otto den Grossen, im Büsserkleide um
Vergebung fleht", dar. Es ist ein waldiges Terrain, auf welchem der Kai-
ser mit seinem Jagdgefolge herabgeschritten kommt; ihm entgegen hat sich
der Sohn auf die Kniee geworfen und wird vom Vater mit Milde aufgenom-
men. Die Ausführung des Bildes ist ebenfalls sorglich und wohl zu rüh-