Fragmentarisches
iber
Kunstausstullux
ng vom
1836.
187
steht hiemit in gutem Verhältniss; die malerische Wirkung ist harmonisch,
die Ausführung solid und tüchtig.
Eine der ärossartigsten Leistungen unsrer diesjährigen Ausstellung ist
Lessing's nirlussitenpretligt" (N0. 554). Es ist das zweite historische
Oelgemälde von bedeutenden Dimensionen, mit welchem dieser Künstler
hervortritt. Wir sehen auf demselben eine Schaar böhmischen Volkes dar-
gestellt, welches aus dumpfer Sklaverei erwacheud, von fanatischem Eifer
für Freiheit des Glaubens und Freiheit des l-landelns erfüllt ist. Die rau-
chenden Ruinen im Hintergründe, die wir für ein herrschaftliches Schloss
oder vielleicht richtiger für ein mächtiges Kloster halten dürfen, die Mord-
walien in den Händen der Versammelten, der furchtbare Grimm und Trotz
ihrer Blicke lehrt uns die Weise, in welcher sie den Freiheitskampf füh-
ren. Einer von ihnen steht hervorragend über den Uebrigen auf einem
Vorsprung des Felsbodens da; über ihn ist der Geist der Predigt; gekom-
men, und flammende, zündende Worte sind es, die er zu seiner Umgebung
spricht. Er trägt ein weisses slavisches kVollgewand, unter dem das Pan-
zerhemde und zur Seite das Schwert sichtbar werden; durch den geschlitz-
ten Aermel streckt er den nervigen rechten Arm hervor und erhebt mit der
Hand einen reiehgeschmückten Abendrnahlskelch, der vielleicht den stolzen
Schätzen des Klosters entnommen ist; es ist der Kelch der Befreiung von
den Von-echten des Priesterstandes, dessen allem Volk der Erde gemein-
äame Gnaden er in begeisterter Rede verkündet. Der dunkelglühende Blick,
en er auf den Beschauer heftet, liisst den überschwellenden Strom seiner
Worte verstehen; wir vernehmen die Klänge der Freiheit, vermischt mit
wilden apokalyptischen Bildern, wir hören es, dass der Tag des Gerichtes
gekommen ist und dass der Herr seine Engel ausgesandt hat, die sieben
Schalen seines Zorncs auf die Erde auszugicssen, die Stolzen und Mächti-
gen zu Boden zu treten; wir fühlen uns von der dämonischen Macht seiner
Begeisterung ergriffen und die Schauer des Wahnsinnes über uns hinstrei-
fen. Derselbe Eindruck zeigt sich in den Schaaren, die zu beiden Seiten
des Predigers stehen, mannigfach nach den verschiedenen lndividualitäten
abgestuft. Hier ist es ein edler Jüngling, der sich in freudiger Inbrunst
den Worten des Propheten hingiebt, dort ein Greis, dem jetzt endlich die
lange Ahnung seines dumpfen Lebens emporstrahlt und der sich mit aus-
gestreckten Armen dem neuen Lichte zuwendet; hier kniet einer, der die
Worte des Predigers nachdenkend in sein Inneres verarbeitet und sich zur
kühnsten Todesverachtung stälilt; dort lehnt ein Bauer, den zackigen Mor-
genstern über dem Arme, an dem Stamm einer Eiche in furchtbarer, gewit-
terdräuender Ruhe, bereit, das Amt des Rachegesandten ohne Säurnen zu
Vßnliehelli hier ist ein Weib, hoch und stolz wie die früheren Töchter
des Landes. die das böhmische Amazonenreich gründeten, und neben ihr
ein Knabe, hold, unschuldig und fromm, und doch bereits in seinen Zügen
eine Ahnung desselben ingrimmigen Trotzes, von dem die Männer ergriffen
Smd' T" es 1st nicht möglich, in kurzer Beschreibung diese Menge verschie-
denartiger Charaktere und Individualitäten, in denän allen derselbe Eifer
ilümmi und glüht, und welche sämmtlich das unverkennbarste Gepräge der
böäimischen National-Physiogäomie tragen, zu bezeichnen. Und dabei ist
A195, W16 W" es nur VOII essing erwarten dürfen, in vollkommenster
Existenz gegenwärtig, dlles, rxusdrnck, Geber-de, jbusammenordnung,
in vollkommenstcr lfrelhert" entwickelt, mit der rneisterhaftesten Technik
dargestellt. Lessing gehort ganz der neueren Zeit an, und seine gewal-