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Berichte,
Kritiken
Erörterungen
des Körpers, dieser schlaff herabgesunkene, weiberartige Mantel sagen
nichts hieven, und auch den Zügen des Gesichtes fehlt es am Ausdrucke
der Kraft. Dazu kommt noch ein rlumpfes Colorit, das über das Ganze
ausgegossen ist und das Traurige des Eindruckes nur erhöht. Wir be-
merken leider noch in vielen Bildern der Düsseldorfer Schule, welche die
diesjährige Ausstellung uns verführt, einen ähnlichenMangel an Kraft und
innerlich überzeugender Darstellung.
Weniger zunächst bei dem grösseren Bilde von J. P. Gütting (No.
239), „Marias Abschied von der Leiche Christi", halbe Figuren. Maria
hält den Leichnam in ihren Armen, indem sie ihn mit tiefster Wehmuth
zum letzten Male betrachtet. Maria, die gramvolle Mutter, ist mit schön-
stem innerlichstem Gefühle dargestellt, und ihr Kopf, ihre Geberdc, Arm,
Hand, auch die Gewandung vortrefflich durchgeführt; der Leichnamjedoch,
besonders dessen Kopf, ist wiederum wenig genügend. Zu bedauern ist
auch, dass die Composition dieses Bildes nicht gut im Raume angeordnet
ist, dass die Figuren wie das Fragment eines grösseren Gemäldes erschei-
nen. Die Skizze einer Grablcgung von Götting (N0. 240) ist dagegen
trefflich gruppirt; aber hier fehlt alles Leben der äusseren Handlung, und
das Ganze erscheint demnach ohne Wirkung.
V0I1 E- Dege r, dessen anmuthvolle Gemälde allen Beschauern unsrer
Ausstellungen in werthester Erinnerung sind, ist diesmal ein Bild einge-
sandt, welches den früheren in dem Liebreize der Auffassung und Innigkeit
der Empfindung auf keine Weise nachsteht: "Maria betet das Jesuskindlein
an" (N0. 152). Das Kind, auf weichem Moose gebettet, liegt in holdem
Schlummer da; es ist ein Kopf von wundersamer Reinheit und kindlichem
Adel, so, wie wir das Wesen des künftigen Erlösers gern in den Formen
noch unentwickelter Jugend angedeutet sehen mögen; die Haltung des Kör-
pers ist einfach, ungezwungen und von grosser Schönheit. Maria ruht anbetend
vor ihm auf den Knieen, und betrachtet vornübergebeugt (las heilige Kind
mit tiefem Sinnen; die Demuth der Jungfrau, die Seligkeit des hohen Be-
rufes und ein sehr ernstes Nachdenken über die Geschicke der Zukunft
sprechen sich in den Zügen ihres Gesichtes auf eine rührende Weise aus.
lhre Gestalt ist in würdigen ruhigen Linien gezeichnet. Die Ausführung
ist äusserst liebevoll, auch in den Nebendingen, ohne diese doch mehr,
als es die Bedingnisse eines historischen Bildes erlauben, hervorzuheben;
namentlich die Landschaft, in welche man hinausblickt, ist vortrefflich im
historischen Charakter gehalten. Aber die Ausführung ist allzuzart; bei
aller Tiefe der Empfindung fehlt diesen Gestalten wiederum jene körper-
liche Kraft, ohne welche wir nicht an ihre Existenz zu glauben vermögen.
Die Kunst hat einmal ihr sinnliches Element; ist diesem nicht Genüge ge-
than, so büsst sie die Hälfte ihrer Wirkung ein. Möge Dcger, dessen treff-
liches Talent zu den bedeutendsten Leistungen berufen ist, die gefährliche
Bahn erkennen, welche er eingeschlagen hat!
Ein Bild, welches wiederum wohl geeignet ist, das Interesse des Be-
sehauers zu erwecken, ist "der Tod Mose" von Mengelberg (N0. 598).
Der grosse Befreier des jüdischen Volkes ist an das Ziel seiner mühevollen
Wanderung gelangt; von der Zinne des Berges blickt er auf das gelobte Land
hinab, welches im Schimmer der Abendsonne sich in die Ferne hinbreitet.
Er ist in die Kniee gesunken, er breitet die Arme in Sehnsucht und hoher
Freude aus und sinkt sterbend zurück; Engel stehen zu seinen Seiten, die
seine hinbreehende Gestalt empfangen. Die Intentionen des Ganzen sind