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Berichte,
Kritiker
lürörterz
mgen
in der Composition des Ganzen manch einen Mangel, der es leider cr-
kennen lässt, dass der Gegenstand nicht immer mit dem Ernste, mit der
Kraft und Tiefe durchdrungen ist, welche die Ilerstellnng eines vollen-
deten Meisterwerkes erfordert. Schon die früheren Gemälde Sohiüs, welche
unsre Ausstellungen schmückten, liessen bei den entschiedcnsten Vorzügen
manchen Wunsch unbefriedigt; das in der Ueberschrift genannte, das be-
deutendste der Dimension nach, welches wir von ihm kennen, übertrifft
dieselben in den angedeuteten Vorzügen und Mängeln.
Das Urtheil des PariS- Der schöne Hirtenjüngling sitzt auf der linken
Seite des Bildes, Körper und Gesicht im Profil gesehen. Er reicht den
verhängnissvollen goldenen Apfel an Venus, welche, als die wichtigste
Figur des Ganzen, in der Mitte steht; mit der einen Hand empfängt sie
den Apfel, mit der andern hält sie das Gewand, welches um ihre Hüften
geschlungen ist. Amor schmiegt sich lächelnd, in kindlicher Bewegung,
an sie. Zwischen Paris und Venus, ein wenig tiefer im Bilde, sitzt Mi-
nerva, welche dem Beschauer den Rücken kehrt und das Gesicht zürnend
nach der glücklichen Siegerin umwendet; sie ist im Begriff sich zu beklei-
den. Zur Rechten der Venus, halb dem Beschauer zugewandt. sitzt Juno,
indem sie den Busen mit der Hand bedeckt und ebenfalls zürnend auf den
Vorgang zurückblickt. Die Gestalten befinden sich auf der Höhe des Ida,
von der man, zwischen Lorbeer- und Myrthen-Gebüsch hindurch, auf die
Ufer des Meeres niedersieht. Es ist eine schwierige Aufgabe, das zer-
theilte Interesse der Personen, wenn man nicht einzelne von ihnen we-
sentlich unterordnen will, zu einer malerischen Gruppe, zu einer Total-
Wirkung, zu vereinen, und wir müssen gestehen, dass bei der Lösung
dieser Aufgabe nicht alle Ansprüche befriedigt sind. Schon die kurze Be-
schreibung lässt das Zerstreute der Composition erkennen, was leider durch
einen Nebenumstand noch mehr hervorgehoben wird. An den Figuren
selbst ist jener schwierige Punkt der malerischen Technik, jene Darstel-
lung des Lufttones, welcher Glied von Glied und Gestalt von Gestalt son-
dert, aufs Treftlichste beobachtet; aber er fehlt in hohem Grade an dem
Laubwerk, welches zwischen den einzelnen Gestalten sichtbar wird; statt
einen vermittelnden Hintergrund zu bilden, statt das Auge sanft von der
einen Gestalt auf die andre hinüberzuleiten. springt dasselbe dem Auge
des Beschauers mit Lebhaftigkeit entgegen und bringt somit gerade die
entgegengesetzte Wirkung hervor. Und wie wir uns von dem äusseren
Arrangement des Bildes nicht befriedigt fühlen, so können wir auch die
innere Auffassung nicht unbedingt billigen. Es sind die beiden Gestalten
der Juno und der Minerva, die für uns etwas Befremdliches haben. Juno
ist am Wenigsten empfunden; sie sitzt nicht fest, nicht sicher genug, sie
gleitet, und der nothwendige organische Zusammenhang ihrer Glieder
dürfte nicht in allen Theilen vorhanden sein; wir sehen in ihrer Erschei-
nung zwar eine erhabene Gestalt beabsichtigt, wie solche der Götterkönigin
zukommt, aber das Unmittelbare des Eindruckes fehlt; im Ausdruck ihres
Gesichtes ist etwas Maskenartiges, auch die Bewegung ihrer Arme ist mehr
im Charakter einer mediceischen Venus, welche schüchtern den Fluten
entsteigt, als dass sie der bewussten Majestät einer Juno entspräche. Die
Gestalt der Minerva giebt ebenfalls kein entschiednes Bild ihrer charak-
teristichen Eigenthümlichkeit; wir hätten sie irgend in andrer Stellung
zum Beschauer, oder in dieser mehr bekleidet, gewünscht: sie ist hier