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Kritiken,
Berichte ,
Erörterungen.
Genoss, der mehr im Hintergrunde steht, hat etwas mehr Bedeutung in
seinen Zügen; seine ganze Erscheinung hat einen Anstrich von gewisser
Würde; er blickt ruhiger, mit einem Anfluge von Mitleid und Gewissen,
auf den Schlummer der beiden Knaben herab. So hat der Künstler in
diesen beiden Gestalten bereits die Gefühle vor und nach der That, die
Mordgier und die mitleidsvolle Reue, wie sie der Dichter schildert, in
dem einen Momente der Handlung angedeutet, das Interesse des Beschauers
in grösserern Maasse zu gewinnen.
Wenn wir den Maler der Treue wegen loben müssen, mit welcher er
den Andeutungen des Dichters gefolgt ist, so kann das in vielen andern
Fällen zweideutig erscheinen. Nur zu häufig geschieht es, dass bei Dar-
stellungen, welche die einzelne Scene eines Gedichtes vorführen, eine Be-
kanntschaft mit dem Gesammtinhalte des letzteren vorausgesetzt wird und
dass der Beschauer, bei dem diese Voraussetzung nicht zutrifft, ohne Inte-
resse vorüber-geht. Und auch für den, welcher die Dichtung kennt, kann
ein solches Kunstwerk nicht die erwünschte Wirkung hervorbringen, eben
weil es nicht seine Bedeutung, sein Verständniss, unabhängig von allem
Titel und Commentar, in sich trägt. Alles dies findet indess auf das Hilde-
brandfsche Bild keine Anwendung; trotz seiner genauen Uebereinstimmung
mit dem Gedichte, die freilich die nähere Charakteristik des Einzelnen
begünstigte, sehen wir es in sich geschlossen, in sich verständlich, in
sich sein Interesse und seine ergreifende Wirkung tragend. Zwei holde
Knaben, deren hoher Stand durch Schmuck und Beiwerk bezeichnet wird,
zärtlich nebeneinander in süssem Frieden, und über ihnen das Verhängniss,
welches die schönste Blüthe zu vernichten im Begriff ist; das Lieblichste,
das Reinste und Anmuthvollste, was die Welt hervorzubringeu im Stande
ist, und die grausenerregende Macht, welche dem Bösen in dieser Welt
zu Theil geworden; Alles vereint, was Mitleid, innigste Theilnahme und
tiefste Trauer in uns hervorbringen kann, und doch das Ganze so schön,
so edel, so rein gehalten, dass die beklemmende Angst, mit welcher wir
dem Vorgange zuschauen, sich in eine stille Rührung verwandeln muss 1).
Die Portraitbilder von Hildebrandt, welche sich auf der diesjährigen
1) Unter meinen Papieren finde ich noch eine Notiz über das oben bespro-
chene Bild, von der ich mich nicht mehr entsinne, 0b und wo ich sie habe drucken
lassen. Sie gehört der Zeit bald nach der Ausstellung von 1836 an und mag
hier als Curiosität ihre Stelle linden:
Durch öffentliche Blätter hat sich das Gerücht von einem unerhörten Pla-
giat, dessen sich einer der ersten Künstler unsrer Zeit schuldig gemacht haben
soll, verbreitet; das Publikum fängt an unwillig zu werden, dass es sich, auf
der letzten Ausstellung, durch eine blosse Copie hat zu unnöthigem Enthusias-
mus verleiten lassen. In dem Schlosse Kronborg bei Helsingör ist ein Rei-
sender diesem Plagiat auf die Spur gekommen; da hat er, in der Kupfer-stich-
sammlungdes Gommandanteu, ein Blatt vorgefunden, welches das vollständige
Original zu den Söhnen Eduards von Th. Hildebraudt sein soll. Naiver
Weise aber nennt er auch den Maler und den Stecher des Blattes: James
Northcota und Francis Legat. Nun weiss Jedermann, dass dieses Blatt
zu der Shakspeare-Gallery gehört, ein so bekanntes Blatt, dass es die Referen-
ten über Hildebrandfs Bild für gänzlich übertlüssig halten mussten, seiner dabei
auch nur zu erwähnen. Allerdings führt die Composition in beiden Darstellun-
gen dieselbe Scene vor, und sie haben gerade so viel Aehulichkeit, als durch
die Worte Shakspoauys geboten war; im Uebrigen wird es keinem läunstver-
ständigen einfallen, auch nur eine Parallele zwischen beiden zu ziehen.