Jeremias auf den
Trümmern von Jerusalem.
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dung vor uns sehen. In rührendem Contrast liegt die Tochter eben ihr;
sie schlingt ihren Arm durch den der Mutter und bedeckt mit der andern
Hand das Gesicht; sie möchte gern dem Schweigen der Mutter gleich thun
und wie diese zur Sammlung des Schmerzes kommen. Die wenigen Kör-
pertheile, die sich in dieser Stellung enthüllen, erblühen noch im holdesten
Reize der Jugend. Der sterbende Krieger, auf der andern Seite, ist
nackt, nur mit einem Sehurze bekleidet; er zeigt edle, jugelldlißh athle-
tische Formen, aber sie sinken gebrochen zusammen; die fahle Farbe des
Todes mischt" sich unter das kräftige bräunliche Incarnat seiner Glieder.
Vor ihm liegt das Schwert, mit dem er gestritten, noch von dem Blute der
Feinde geröthet. Auch der Knabe, der ihm das Haupt emporrichtet, ist
halbnackt und reizend schön in Form und Farbe; Bangigkeit und Entsetzen
malen sich auf seinen Zügen.
Aeusserst zart und innig ist die Gruppe zur äussersten Rechten; be-
sonders die Jungfrau, die den Leichnam des Vaters zu den Häupteu, ihre
Hände über dessen Brust gekreuzt, trägt; es ist bereits in einer andern
Kritik des Bildes sehr richtig bemerkt worden, dass sie die kindliche
Pflicht noch mit derselben schönen jungfräulichen Schüchternheit übe, wie
wenn sie den Körper eines Schlafenden trage; und doch fehlt es auch
ihrem Antlitz keinesweges an dem verwaltenden Zuge des innerlichen
Leidens; der kräftige Knabe, der die Füsse des Gestorbenen trägt, blickt
vorsichtig bang nach den Schritten der höher stehenden, schwerer tragen-
den Schwester zurück. Alles andre lnteresse aber schweigt, wenn wir
uns endlich der Gruppe zur äussersten Linken zuwenden. Entsetzt, in
dumpfer bewusstloser Angst flüchtet jenes junge Weib, das den reizenden,
vor Mattigkcit eingeschlafenen Knaben im Arme trägt, zu den Uebrigen
empor. Sie hat Furchtbares gelitten; die Blässe eines namenlosen Grauens
ist über diese schönen Glieder, über Gesicht, Schultern und Hände, aus-
gegossen. Ihr Auge hat keine Thränen mehr, halb gebrochen starrt es,
wie das Auge einer Wahnsinnigen, vor sich hin, sie sieht nicht, welchen
Weg ihre Füsse sie führen. Das bitterste Leiden liegt um diesen lechzend
geöffneten Mund; es ist jener unergründliche Zug des Schmerzes, wo die
Winkel des Mundes sich nicht senken, vielmehr die Erinnerung an das
holde Lächeln beibehalten, das in glücklicheren Tagen alle Leidenschaft
der Liebe zu erwecken wusste. Es spielt wie ein geheimer Zauber um
diese wunderbaren Züge, fast wie in jenem Kopfe der Rondaninfseheu
Meduse, in dem auch Lust, Schmerz und Grauen des Wahnsinns, wenn
freilich in ganz andrer Weise, gemischt sind. Dies Weib wird sinken, ehe
noch dasrschöne Kind, das sie an sich presst, versehmachtet ist; dann wird
der Knabe das Loos des kleinen Gespielen theilen, zu dem sich sein Arm
bereits, wie vorahnend, niedersenkt.
Der Himmel, der sich über dieser Scene des Unterganges wölbt, ist
blau und Wolkenlos: derselbe Himmel, der lauge Jahrtausende über der
Erde steht und Winter und Frühling, Zerstörung und neu aufkeimendes
Leben unter sich hinwandeln sah. Diese reine, ewige Klarheit bildet den
ergreifendslen und erhebendsten Contrast zu dem Gegenstande des Bildes,
besser, als es durch dunkle Wolkenzüge und hastige Effekte von Glut und
Flammen zu erreichen gewesen wäre. Ein helles Tageslicht ist über alle
Gestalten ausgegossen und dient vornehmlich dazu, die grossartige Ruhe
des Ganzen zu erhöhen. Freilich war dies keine der leichtesten Aufgaben
für den Künstler, aber mit grössterMeisterschaft ist gerade diese Gesammt-