auf dnn
J aremias
Trümmer:
von Jerusalem.
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Romanen und Journal-Aufsätzen einen Schluss auf das gesammte Produc-
tionsvermögen zu machen sich für berechtigt hält. Man hat vergessen,
dass zum Abschluss dieser Rechnung nicht bloss die Literatur, sondern
auch die Kunst in Frage zu stellen ist, und dass gelegentlich die eine
mit der andern das Scepter tauscht. Und so lässt uns in der That schon
eine äussere Ansicht der Dinge erkennen, dass gegenwärtig die Masse der
Production auf Seiten derKunst zu suchen ist, dass hielier sich das ausge-
dehnteste Interesse des Publikums gelenkt hat. Und fassen wir den inne-
ren Geist und das Vermögen der Darstellung in den jüngsten Werken
unsrer Kunst ins Auge, so finden wir hier, was wir in der Literatur ver-
missen, sehen wir hier die Aufgaben seien sie ernst und tiefsinnig, oder
heiter und spielend mit reinem, unschuldigem Sinne aufgenommen, mit
Liebe und Wahrheit durehgebildet, mit Kraft und Ausdauer zum ergrei-
fenden Leben vollendet.
S0 in dem jüngsten Gemälde Bendemanrfs, welches einige Wochen
hindurch im Lokale der hiesigen Kunstakademie dem Besuche des Berliner
Publikums freigestellt war. Es stellt den Untergang eines einst herrlichen
und blühenden Volkes dar, das tiefste Elend, den bittersten Schmerz, allen
Jammer und alle Verzweiflung, welche je die Brust des Menschen durch-
zogen; es ist Alles darin enthalten, was unser Herz verwunden und zum
innigsten Mitgefühle hinreissen kann, und doch ist über das Ganze und
über die einzelnen Gestalten jener unergründliche Hauch der Schönheit,
jene Reinheit und Seelengrösse ausgegossen, die auch das Anschauen des
Schmerzes und des Leidens zum edelsten Genusse umgestalten. Das furcht-
bare Elend, welches sich hier unsern Blicken entfaltet, wird nirgend gräss-
lich, nirgend beklemmende Pein; die Erinnerung an dasselbe vermag es
nicht, die Träume unsrer Nächte zu vergiften, sie giebt im Gegentheil
unserm Gemüth Ruhe, unsern Gedanken und Empfindungen Klarheit und
Würde.
Es sind ein Paar Bemerkungen über dies Bild (zum Theil auch in
geschätzten Zeitschriften) laut geworden, die wir vor einer näheren Betrach-
tung desselben besprechen zu müssen glauben. Einige Kritiker wundern
sich, dass der Maler keine Juden, einer besonderen Nationalität gemäss,
sondern überhaupt nur schöne und edle Menschen dargestellt habe. lch
weiss nicht, was ich aus dieser Ansicht machen soll. Was für Juden ver-
langt ihr? etwa jene knechtischen, gemeinen Physiognomieen, wie sie die
Mehrzahl dieses unglücklichen Volkes durch die barbarische, jahrtauseud-
lange Unterdrückung, mit der eure Väter dasselbe behandelt, angenommen
hat? Oder wollt ihr irgend eine jener heutigen orientalischen Racen dar-
gestellt sehen, wie uns z. B. Horace Vernet jüngst in seiner Rebecea am
Brunnen, statt einer Scene des frommen Patriarchenlebens, ein modern
ägyptischer; Genrebild vorgeführt hat? Alles dies möchte für das auser-
wählte Volk Gottes, welchem er den Büchern der Schrift zufolge Seine
höchsten Gnaden zugewendet hatte und welches in einer idealeren Bildung
den Stempel dieses göttlichen Verkehres tragen muss, wenig passend sein.
Die künstlerische Anschauung hat hier von jeher das Richtige getroiien:
es gehört nur ein geringer Grad von Gefühl dazu, um das uralte und
immer erneute Ideal des Christuskopfes, um RaphaePs und Leonardos
Mndonnen für wahrer und angemessener zu halten, als ein Gesieht mit
krummer Nase, vorstehenden Augen und hängender Unterlippe, Gcmngu
es auch einem Künstler, die einstige Nationalphysioguomic des jüdischen