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Berichte, Kritiken, Erörterungen.
während wir der Befreiung der Kunst durch die grosse Zeit des Cinque-
cento theilhaftig eworden sind.
Das grosse Degckengemälde Hermann's in der protestantischen Kirche
stellt die Himmelfahrt Christi dar. Es herrscht in demselben ein sehr
ernstes würdiges Gefühl, ein hochfrommer Eifer; die Gestalten sind in
schönen, strengen Formen gezeichnet. Nur geht eine gewisse Symbolik
durch die iigurenreiche Composition, welche nach unserm Gefühle die
Grenzen der Kunst bereits überschreitet und, wie es scheint, der Grund
ist, dass wir in dem Bilde nicht sowohl ein grosses Ganze, als vielmehr
verschiedene einzelne Gruppen, die an sich freilich sehr wohl geordnet
sind, bemerken. Zu bedauern ist übrigens, dass dies grosse Werk sich
an der flachen Decke der Kirche befindet und nur mit höchster Unbequem-
lichkeit betrachtet werden kann.
Die Fresken im Corridor der Pinakothek enthalten, so weit sie voll-
endet sind, einzelne schöne und würdige Compositionen; die Mehrzahl
derselben schien dem Berichterstatter minder anziehend. Ueberhaupt mag
es eine sehr kritische Aufgabe sein, die Geschichte der Malerei zu malen;
die eigentlichen Lebenspunkte einer solchen bleiben gewiss noch ungleich
mehr verborgen, als bei jenen Haupt- und Staatsactionen, welche wir in
den Arkaden des Hofgartens kennen gelernt haben. Die unzähligen
Freskogemälde, mit welchen zwanzig Zimmer und Säle des neuen Königs-
baues ausgeschmückt sind, waren dem Berichterstatter leider nicht zu-
gänglich. Die gemalten Fenster für die Kirche in der Au zeichnen sich
durch meisterhafte Composition der gothischen Ornamente, sowie durch die
leuchtenden, vollkommen reinen Farben und ihre harmonische Zusammen-
stellung aus
Wir haben hiemit ein flüchtiges, aber unbefangenes Bild der vorzüg-
lichst hervortretenden Leistungen neuerer Kunst, welche wir in München
kennen gelernt, wiederzugeben versucht. Wir sahen viel des Grossen und
Herrlichen beabsichtigt, vieles Würdige mit Energie durchgeführt; wir
mussten jedoch zugleich, zur Steuer der Wahrheit, manch einen Tadel mit
aussprechen. Wird es nun. bei dem Einfluss, den so grossartig eingeleitete
Unternehmungen nothwcndig auf die Entwickelung der deutschen Kunst aus-
üben müssen, verderblich wirken, wenn wir in der Münchner Architektur
griechische, römische, byzantinische, gothische, neuitalienische Systeme
friedlich nebeneinander bestehen sehen, gleich als ob unsre Zeit mit der
Gefühlsweise so verschiedener Zeiten in der That harmoniren könnte? Wird
es nachtheilige Folgen haben, wenn in der Malerei die kindlich alter-
thümliche Anwendung des Goldgrundes wieder hervorgesucht wird, wenn
man in der Wahl historischer Darstellungen sich noch keines wahrhaft
gültigen Princips bewusst geworden ist? wenn sonst noch vielleicht hie
und da Missfälliges hervortreten mag? Ich glaube, nein. Unsre Zeit ist
durchaus erst in der Entwickelung neuer Elemente der Kunst begriffen;
und es ist nothwenrlig, dass wir hiebei alle unsre Studien (und uns liegen
deren so viel mehrere vor, als dies in frühern Zeiten der Fall war) auch
äusserlich verarbeiten müssen. Wir können das, was wir gelernt haben,
nicht leichtsinnig von uns werfen; wir können einzig nur auf diesem Wege
der Geschichte zu wirklicher Selbständigkeit gelangen. Wir können dies
ferner nicht anders, als wenn eine lange und grossartige Uebung vieler
Kräfte uns in den Besitz der technischen Mittel gesetzt hat, deren wir zur
lebendigen Ausführung unsrer Ideen bedürfen. Dies bewerkstelligt zu