Rhein
ureise,
1341.
Erster
Abslchnitt.
die Wahl einer solchen Darstellung an der bedeutsamsten Stelle des gan-
zen Monuments durch eine ganz besondere Absicht veranlasst sein musste:
sie hat unbedenklich, wie zilles übrige Bildwerk des Monuments, welches
sich in den Formen der alten Mythe bewegt, einen tieferen Sinn; und
zwar deutet sie, wie sich aus dem Charakter der Ganymedes-Mythe Ohne
alles Weitere von selbst ergiebt, auf das Scheiden eines geliebten Todten
von der Erde, auf die Entführung seiner Seele zu einem verklärten Jen-
seits Dass die Jugend des Ganymed zugleich speciell auf einen Früh-
verstgrbenen gedeutet werden müsse, scheint mir hiebei nicht nothwendig;
wollte man hierauf ein Gewicht legen, so möchte eS vielleicht einer sym-
bolisirenden Kunst mehr entsprechen, wenn man nicht sowohl an die ver-
storbene Jugend des Körpers, als an die neubeginnende Jugend der Seele
dachte. Ueberhaupt aber liegt es im Wesen symbolischer Kunstdarstellun-
gen, dass ihr Inhalt nicht. so bestimmt wie durch das 'Wort (ob auch er-
greifender) ausgedrückt wird, dass sie dem Geiste des Beschauers immer
wie ein anziehendes RälhSclspiel gcgenübertreten, und dass neben der
Grundbedeutung gleichzeitig auch mancherlei Nebenbezüge in der Darstel-
lung enthalten sein können. S0 mag auch hier die vorzüglich in die Augen
fallende Gestalt des Adlers beiläufig zugleich auf jenes, nach dem Armer
genannte Aquileja, sodann auf das lhaldzeichen der römischen Legionen
(das bekanntlich in einem Adler bestand) als Sinnbild römischer Macht
und Herrlickcit, endlich auf den König der Götter, den Lenlier der Welt
selbst, dessen dienstbarei- Vogel der Adler utar, zu deuten sein.
Die Kugel, von welcher sich der Adler mit Ganymed emporschwingt,
ist als der Erdball zu fassen, von dem die Seele des Verstorbenen geschie-
den. Diese Kugel wird von vier colossalen weiblichen Büsten getragen,
welche sich über den vier Ecken des Kapitäls erheben. Sie sind unbe-
kleidet und mit langen, über die Schultern herabtliessenden Haaren darge-
stellt; ohne Zweifel sehen wir in ihnen Wasserwesen, Töchter des Ocea-
nus, vor uns, als Andeutung des feuchten Elementes, aufwelchem die
Erde ruht. Nahe unter den Achseln, in horizontaler Linie abgeschnitten,
sind sie ohne wieitere architektonische oder sonstige Vermittelung auf die
Oberfläche des Kapitals aufgesetzt. Diese Anordnung hat allerdings etwas
Unharmonisches, was indess nur im geometrischen Aufriss des Monuments
sonderlich auffällig ist 1); in der perspectivischen Ansicht von unten fällt
der Uebelstand grösstentheils fort. In nächster Beziehung zu diesem
Darstellungen stehen sodann die sehr eigenthümlichen figürlichen Verzie-
rungen des Kapitäles. An jeder der vier Ecken desselben befindet sich
der Vorderseite des Adlers eine Eisenstange hßräbgehii, Welche, ohne die Sculp-
tur zu berühren, in die Kugel eingelassen ist. Sie überragt um ein Beträcht-
liches den Adler an Höhe. Vermllflllißh Ward sie gelegentlich eingefügt, um
einer jetzt nicht mehr vorhandenen Restauration den nöthigen Halt zu geben.
Da, wie mir gesagt ward, der Blitz schon mehrfach in diese Stange eingeschlagen
haben soll, so erscheint ihre Beseitigung als dringend nöthig für die Erhaltung
des ganzen Denkmals.
So in den Osterwaldschen Blättern. Dass der Obertheil des Monuments
absichtlich auf die perspectivische Wirkung berechnet ist, geht u. a. aus der
Form der Kugel hervor, die im geometrischen Aufriss beträuhtlich, in einer
elliptischen Linie, überhöht, erscheint. Jene Büsten hat man früher allgemein
für Sphinxe angesehen, ein Irrthum, der sich durch ein Scharfes Auge ebenso
deutlich herausstellt. wie der mit dem Adler-