November
1853.
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romanischen Style, dem Charakter des, in sich allerdings schon nicht eini-
gen Ganzen thnnlichst entsprechend, so ist es eben auch nur ein neues
Modell des Alten, weder alt noch neu, weder uns mit jener tiefen Wirkung
des historisch Ueberlieferten berührend, noch unserem Formengefühle,
unserer geistigen Sprache ein wahrhafter Ausdruck. Und statt seiner
wäre ein Andres verschwunden, das schon als ein Historisches dasteht,
daran sich schon bedeutungsvolle Erinnerungen knüpfen und das sich
schon, in seinem äusseren Stoffe, mit der ehrwürdigen Farbe des Alter-
thums zu bekleiden beginnt.
Es war gegen den Schluss des vorigen Jahrhunderts, als der franzö-
sische Freiheitsbaum vor dem Dome errichtet war und unter diesem, bei
dem wilden Gesange der Carmagnole, das Feuer flackerte, das die heiligen
Bilder des Domes verzehrte. Dann ward beschlossen, den Dom selbst
hinwegzutilgen und an seiner Stelle ein Marsfeld zu, schaffen; der Vorbau
aber, mit seinen hohen Pforten und Hallen, sollte als Triumphbogen, zum
Eingange in das Marsfeld, stehen bleiben, und die Statuen oben auf dem
Vorbau, die der Himmelskönigin in der Mitte und die des Bernhard und
des Stephanus auf den Seiten, sollten hinabgestürzt und statt "ihrer sollte
droben das Standbild des Erdenkaisers, Napoleons, mit den Bildern der
Weisheit und des Ueberflusses zu seinen Seiten, errichtet werden. Das Be-
schlossene schien unabwendlich. Aber es geschah nicht, und das Bild der
Himmelskönigin steht wenigstens bis heute noch auf seiner geweihten Stelle.
Die Statuen der beiden männlichen Heiligen haben den allerdings
nicht gar erquicklichen Rococostyl ihrer Epoche; die der Maria ist von
seltener Schönheit. Auch sie ist in derselben Zeit, welche wir als die der
künstlerischen Entartung zu bezeichnen pflegen, gearbeitet werden; aber
der Künstler hat sich, für die Fassung der Gestalt und der Gewandung,
den alten edlen Vorbildern des germanischen Styles mit Glück ange-
schlossen und dabei zugleich, ohne alle knechtische Nachahmung, ein selb-
ständig warmes Gefühl zum Ausdrucke zu bringen gewusst. Die Gestalt
der Maria vereinigt feierliche Würde und zarte Grazie, wie ihr es nicht
allzuhäuiig findet. Mich dünkt, sie hat ein Recht an jene Stelle.
lch reihe dem Vorstehenden zunächst ein Paar Notizen über den Dom
von Worms an, dem ich am Schluss meines pfälzischen Aufenthalts,
SChOII auf der Heimreise, wenigstens noch einen flüchtigen Besuch widmen
konnte. Ich hatte früher annehmen zu dürfen geglaubt, dass er, seinen
Haupttheilen nach, dem im Jahre 1110 geweihten Bau angehöre; v. Quast
hält ihn der Hauptmasse nach (mit Ausschluss der Obertheile des Schiffes,
der Gewölbe und des Westchores) für den Bau, welcher nach der von
Schannat aufbewahrten Nachricht im Jahre 1181 eingeweiht wurde. Schnaase
stimmt der letzteren Ansicht bei. Auch ich meinte jetzt, den Dom, bei so
vielen schlagenden Kennzeichen der spätromanischen Epoche, welche er
allerdings Zur Schau trägt, als ein zweifelloses Werk dieser Spätzeit be-
trachten zu müssen; dennoch sind mir, bei reiflicher Erwägung alle; Ver-
hältnisse, wiederum Bedenken, wenigstens gegen die Unbedingtheit dieser
Ansicht, aufgestiegen, und ich halte ES Zum Mindesten für gerathen, das
entschiedene Urtheil bis auf die Anstellung genauerer Lokal-Untersuchun-
gen und die Mittheilung des Ergebnisses derselben dahingestellt sein zu
lassen.
Ein Pfeiler um den andern, im Schiffe des Doms, ist an seiner Vor-
derseite mit dem Gurtträger für das Hauptgewölbe, Pfeilervorsprung und