Volltext: Kleine Schriften und Studien zur Kunstgeschichte (Bd. 2)

November 
1853. 
733 
romanischen Style, dem Charakter des, in sich allerdings schon nicht eini- 
gen Ganzen thnnlichst entsprechend, so ist es eben auch nur ein neues 
Modell des Alten, weder alt noch neu, weder uns mit jener tiefen Wirkung 
des historisch Ueberlieferten berührend, noch unserem Formengefühle, 
unserer geistigen Sprache ein wahrhafter Ausdruck. Und statt seiner 
wäre ein Andres verschwunden, das schon als ein Historisches dasteht, 
daran sich schon bedeutungsvolle Erinnerungen knüpfen und das sich 
schon, in seinem äusseren Stoffe, mit der ehrwürdigen Farbe des Alter- 
thums zu bekleiden beginnt. 
Es war gegen den Schluss des vorigen Jahrhunderts, als der franzö- 
sische Freiheitsbaum vor dem Dome errichtet war und unter diesem, bei 
dem wilden Gesange der Carmagnole, das Feuer flackerte, das die heiligen 
Bilder des Domes verzehrte. Dann ward beschlossen, den Dom selbst 
hinwegzutilgen und an seiner Stelle ein Marsfeld zu, schaffen; der Vorbau 
aber, mit seinen hohen Pforten und Hallen, sollte als Triumphbogen, zum 
Eingange in das Marsfeld, stehen bleiben, und die Statuen oben auf dem 
Vorbau, die der Himmelskönigin in der Mitte und die des Bernhard und 
des Stephanus auf den Seiten, sollten hinabgestürzt und statt "ihrer sollte 
droben das Standbild des Erdenkaisers, Napoleons, mit den Bildern der 
Weisheit und des Ueberflusses zu seinen Seiten, errichtet werden. Das Be- 
schlossene schien unabwendlich. Aber es geschah nicht, und das Bild der 
Himmelskönigin steht wenigstens bis heute noch auf seiner geweihten Stelle. 
Die Statuen der beiden männlichen Heiligen haben den allerdings 
nicht gar erquicklichen Rococostyl ihrer Epoche; die der Maria ist von 
seltener Schönheit. Auch sie ist in derselben Zeit, welche wir als die der 
künstlerischen Entartung zu bezeichnen pflegen, gearbeitet werden; aber 
der Künstler hat sich, für die Fassung der Gestalt und der Gewandung, 
den alten edlen Vorbildern des germanischen Styles mit Glück ange- 
schlossen und dabei zugleich, ohne alle knechtische Nachahmung, ein selb- 
ständig warmes Gefühl zum Ausdrucke zu bringen gewusst. Die Gestalt 
der Maria vereinigt feierliche Würde und zarte Grazie, wie ihr es nicht 
allzuhäuiig findet. Mich dünkt, sie hat ein Recht an jene Stelle.  
lch reihe dem Vorstehenden zunächst ein Paar Notizen über den Dom 
von Worms an, dem ich am Schluss meines pfälzischen Aufenthalts, 
SChOII auf der Heimreise, wenigstens noch einen flüchtigen Besuch widmen 
konnte. Ich hatte früher annehmen zu dürfen geglaubt, dass er, seinen 
Haupttheilen nach, dem im Jahre 1110 geweihten Bau angehöre; v. Quast 
hält ihn der Hauptmasse nach (mit Ausschluss der Obertheile des Schiffes, 
der Gewölbe und des Westchores) für den Bau, welcher nach der von 
Schannat aufbewahrten Nachricht im Jahre 1181 eingeweiht wurde. Schnaase 
stimmt der letzteren Ansicht bei. Auch ich meinte jetzt, den Dom, bei so 
vielen schlagenden Kennzeichen der spätromanischen Epoche, welche er 
allerdings Zur Schau trägt, als ein zweifelloses Werk dieser Spätzeit be- 
trachten zu müssen; dennoch sind mir, bei reiflicher Erwägung alle; Ver- 
hältnisse, wiederum Bedenken, wenigstens gegen die Unbedingtheit dieser 
Ansicht, aufgestiegen, und ich halte ES Zum Mindesten für gerathen, das 
entschiedene Urtheil bis auf die Anstellung genauerer Lokal-Untersuchun- 
gen und die Mittheilung des Ergebnisses derselben dahingestellt sein zu 
lassen. 
Ein Pfeiler um den andern, im Schiffe des Doms, ist an seiner Vor- 
derseite mit dem Gurtträger für das Hauptgewölbe, Pfeilervorsprung und
	        
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