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Kritiken.
und
Berichte
selbständig in einer Menge kleiner Schriften, auch mehr oder minder bei-
läufig in andern WVerken mitgetheilt und besprochen. Die zum Studium
der Kostümgeschichte erforderliche Bibliothek würde bereits ein ganz an-
sehnliches Lokal anfüllen. Aber schon die fast ungeheuerliche Weitschich-
tigkeit dieses Materials macht das Studium für den, dem es doch nur
Mittel zum Zweck ist, geradehin unausführbar. Es kommt ihm naturge-
mäss auf hundertfältige Einzelheiten an, und diese soll er sich aus hun-
derten verschiedener Werke zusammcnstichen; es kommt ihrn auf Zuver-
lässigkeit an und er findet, falls seine Natur überhaupt nur zu einiger kri-
tischen Beobachtung geneigt ist, dass unter hundert Fällen vielleicht zwei
sind, die ihn die Sache erschöpfend kennen lehren und die ihm eine nur
einigermaassen sichere Bürgschaft für die richtige Zeitbestimmung des Mit-
getheilten geben. Es kommt ihm auf einen verständigen Führer durch
diese Wirrnisse an, und er sieht sich überall auf seine eignen Kräfte an-
gewiesen, So ist alles kostümgeschichtliche Studium unsrer Künstler bisher
nur ein dilettantistisches gewesen; sobald sie über den engen Kreis, für den
zufällig Ueberliefertes vorliegen mochte, hinausschritten, musste sich der
Mangel des eigentlich genetischen Verständnisses ohne Weiteres kund-
geben. S0 hat es unsre Kunst, trotz des allgemein gefühlten Bedürfnisses,
noch in keiner Weise dahin gebracht, auf dem ersehnten historischen
Pfade sich nur irgendwie mit Sicherheit und Folgerichtigkeit zu bewegen.
Das in der Ueberschrift genannte Werk ist es, welches, soviel aus dem
vorliegenden ersten Bande zu erkennen, dem kostümgeschichtlichcn Studium
die erforderliche sichre Begründung gewähren wird, indem es von einer
vollständigen Kenntniss des Materials ausgeht, das Ganze wie das Einzelne
kritisch sichtet, die Fülle der Gegenstände in strenger Folgerichtigkeit vor-
führt und zur bestimmten selbständigen Auffassung überall diejenigen Ge-
sichtspunkte giebt, welche auf einer wissenschaftlich geschichtlichen An-
schauung beruhen. Der Verfasser, ursprünglich Maler, ist ebenso sehr
Künstler wie Mann der wissenschaftlichen Forschung: er verbindet in sich
die beiden Eigenschaften, ohne welche ein Werk wie das vorliegende
überhaupt nicht durchzuführen wäre; er vereinigt damit noch, als ein
drittes sehr Wesentliches, dasjenige praktische Geschick, welches zur über-
sichtlichen, verständigen Ordnung eines aus tausend und aber tausend
Einzelheiten erwachsenen Materiales nöthig ist. Ein Buch der Unterhal-
tungslectüre, der geistreich spielenden Darstellung zu schaden (wozu der
Stoff auch wohl Anlass geben konnte), lag nicht in seiner Absicht; sein
Werk ist für das strenge Studium bestimmt, als ein solches behandelt und
als ein solches aufzufassen. Wer das Buch mit Ernst in die Hand nimmt,
wird sich bald überzeugen, dass dasselbe einer tieferen Auffassung so
wenig entbehrt, wie es mit bewusster Kritik, mit künstlerischem Scharf-
blick, mit handwerklicher Sicherheit gearbeitet ist.
Der Umfang des Werkes ist durch den I-laupttitel angedeutet. Der
Verfasser hat sich weder auf den engsten Begriff des Wortes Kostüm
auf die Tracht eingeschränkt, noch dasselbe in seinem weitesten Be-
griffe genommen, nach welchem es auch auf eine Darstellung der Sitten,
Gebräuche, Institutionen etc. ankommen würde. Sein Zweck war: eine
Darstellung der "tastbaren Resultate" der Culturgeschichte, also neben der
Geschichte der Tracht auch die der baulichen Einrichtungen und des Ge-
räthes, d. h. eben derjenigen Dinge zu geben, deren genaue Kenntniss
Bedürfniss aller darstellenden Kunst ist. Er beschränkt sich dabei auf die