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Berichte und
Kritiken.
nischen Schule ausgeführt seien, entnehmen zu müssen. Giotto ist es, der
das Element des germanischen Styles in die bildende Kunst Italiens ein-
führte und dort verbreitete. Aber wie sich die italienische Kunst von
vornherein der architektonischen Strenge und Majestät und zugleich den
conventionellen Einschränkungen dieses Styles minder fügt, als dies z. B.
in Deutschland und Frankreich der Fall war, wie sich dort von vornherein
das Streben nach dem Individuellen, welches die grosse Zukunft der ita-
lienischen Kunst in sich harg, geltend macht, so ist Giottos Germanismus
und der der Giottisten überall ein mehr bedingter, auch wenn sich damit,
wie bei Taddeo Gaddi, ein stylmässiges Gefühl von grösserer Feinheit ver-
bindet. Die Nachahmer verfallen wohl in Schematismus, aber sie bleiben
fern von jenem Gesetz, das in der mehr architektonischen Richtung des
Nordens bei aller Einseitigkeit doch so eigenthümlich anerkennenswerthe
Erfolge hat. Nur Fiesole zuletzt nähert sich demselben in Etwas; aber
auch bei ihm steht das (subjectiv-) individuelle Gefühl als ein Element
da, welches ihn in so mächtiger Weise wiederum nach einer persönlich
eigenthümlichen Richtung fortführt.
Mit allen diesen Beziehungen steht aber meines Erachtens die fein
durchgebildete, noch so charakteristisch conventionelle Behandlung der
Malereien, zunächst in der Mittelnische der Alhambra in entschiedenem
Widerspruch. Soll ich eine Vergleichung ziehen, so finde ich hier, neben
jener eigenthümlichen Grösse des künstlerischen Sinnes, eine bei Wei-
tem grössere Verwandtschaft mit deutschen und französischen Malereien,
etwa wie diese in den ausgezeichnetsten Handschriftbildern der Zeit auf
uns gekommen sind abgesehen natürlich von so selbständig entwickelten
Schulen, wie es damals z. B. die kölnische war. Auch hier sind die
Schönheiten und die einschränkenden Bedingungen des Styles in derselben
Weise hervorstechend. Ich glaube also bei den Bildern der Mittelnische
die Hand eines italienischen Künstlers bestimmt nicht annehmen zu dürfen.
Mehr geneigt könnte man sein, eine solche in den Malereien der Seiten-
nischen. zu finden. Aber für's Erste dürfte es, sofern es sich wenigstens
um einen Dello handeln soll, befremdlich sein, den hochgefeierten und,
wie Vasari erzählt, zugleich leidlich stolzen fremden Meister hier in zwei-
ter Linie zu erblicken. Und dann, was wichtiger ist, erkennen wir doch
auch hier, wie oben bereits dargethan, bei näherer Prüfung denselben
künstlerischen Grundcharakter, wie bei den Hauptbildern der Mittelnische,
so dass auch hier die vorausgesetzte 'l'hätigkeit des Italieners wenigstens
sehr unwahrscheinlich wird.
Nach alledem dürfte durchaus kein entscheidender Grund vorliegen,
eine auswärtige Hülfe für die Beschaffung dieser Malereien in Anspruch
zu nehmen, und es wird jedenfalls das Naturgemässeste sein, wenn wir sie
als die Arbeit eines aus spanisch-christlicher Schule hervorgegangenen
Künstlers betrachten, eine Annahme, die bei Erwägung jener allgemeinen
geschichtlichen Verhältnisse der Zeit ihre wiederum sehr einfache Erklärung
findet. Ich freue mich, dass ich hiemit, nach näherer Kenntniss dieser
Werke, nur die Ansicht bestätigen kann, die ich über sie bereits in der
ersten Auflage meiner Geschichte der Malerei ausgesprochen hatte. Wir
müssen damit aber sofort zugleich einen weiteren Schluss machen und der
spanischen Kunst jener Zeit überhaupt, die solche Werke hervorbringen
konnte, eine verhältnissmässig bedeutende Stelle einräumen, wozu wir aber
auch, z. B. in Berücksichtigung ihrer schönen und reichen Architekturen,