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Berichte und Kritiken.
sei; worauf dann der König eine von ihnen zum Wcibe nimmt. Der Ver-
fasser berichtigt hienach u. A. (I, S. 301) die Bemerkungen, die ich in
Bezug auf das Wiirlitzer Exemplar dieser Darstellung gemacht hatte,
dass es mich nemlich an die Sage vom Tannhäuser und "vom Venusberge
erinnert habe und dass es ein charakteristischer Beleg für das Phantastische
in Cranach's Richtung sei. Wenn jene Erklärung den Inhalt der Darstel-
lung giebt, so muss ich bemerken, dass dennoch die Auffassung überall,
und namentlich auch in dem Wörlitzer Bilde, dem dramatisch-historischen
Erforderniss des Vorganges völlig abgewandt, völlig ins Phantastische
übertragen und um so mehr als ein Zeugniss für dies Element erscheint,
als eben eine bestimmte historische Grundlage vorausgesetzt wird. Dass
die Sccne überall von den Nebenumständen und den zu dem Vorgange
gehörigen Nebenpersonen absieht, dass sie in einer felsigen Landschaft vor
sich geht,-giebt ihr schon einen unbedingt mährchenhaften Charakter; in
dem genannten Bilde kommt dann noch die wunderliche Goldrüstung des
alten Ritters, sein mit Schnäbeln und Flügeln verzierter Helm, seine auf
ganz seltsame Weise vom Knie ab entblössten Füsse, das Diabetische im
Ausdruck seines Gesichtes, die Geberde des einen Mädchens, das mit seinem
Fusse des Ritters Knie berührt, hinzu. Das Alles lässt eben ein launiges,
dem ächten Geiste der Volkspoesie entsprechendes Spiel der Phantasie
erkennen, zu dessen Verständniss durch jene brittische Sage doch noch
erst sehr wenig gewonnen sein würde. In der That aber linde ich nicht,
dass die Erklärung Rathgebefs 1), dem der Verfasser einfach folgt, sich
auf irgend eine Autorität stützt. An sich wird es mit der Sage von Alfred
und Albonak ohne Zweifel seine Richtigkeit haben. Es war aber nachzu-
weisen, dass sie zu Cranach's Zeit der Art beliebt und zugleich soweit
volksthümlich umgebildet war, um den Meister und seine Gesellen zu so
häufiger Wiederholung und zu einer, das Wesentliche des Inhaltes so be-
deutend umwandelnden Darstellung zu veranlassen. Dies ist nicht geschehen.
So kann die seltsame Darstellung einstweilen mit eben so gutem Rechte
mag dies der Gewährsmann des Verfassers auch "lächerlich" finden,
den bisher beliebten Titel „das Urtheil des Paris" beibehalten und wurde
dann nur eine Uebertragung des Stoffes im Sinne des deutschen Volks-
mährchens sein, ganz in der Weise, wie dies zu jener Zeit so oft mit an-
tiken Dingen geschehen ist. (Der junge Ritter wäre dann Paris, der alte
Merkur, wobei auch des letzteren Flügelhelrn eine Erklärung fände.) Und
wenn Rathgeber von einem zu Gotha befindlichen Exemplare dieser Dar-
stellung, welches Schuchardt nicht erwähnt, berichtet, dass der alte Ritter
den verhängnissvollen Apfel in der Hand trägt, während ein über dem
jüngeren Ritter fliegender Liebesgott seinen Pfeil auf die Mädchen ab-
schiesst, so dürfte dies für den antiken Stoii noch ein sehr ansehnliches
Gewicht in die Schale werfen.
Zum Verständniss eines andern Oranachschen Bildes erscheint das
Zurückgehen auf den ursprünglichen Inhalt ungleich Wichtiger. Dies ist.
das zu Schleiss heim befindliche Gemälde, welches der Verfasser (II, 8.111)
unter dem ganz richtigen Titel, den der Katalog der Schleisshcimer Gal-
lerie enthält, „der Mund der Wahrheit", auführt. Es ist die Dar-
stellung einer weiblichen Person, die, im Beisein mehrerer Männer, von
denen einer ein ausgezeichnetes Kostüm trägt, ihre Hand in den Rachen
der
Beschreibung
herzogl.
ZU
Gemäldegallerie
Gotha,
1835,
179