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Berichte und
Kritiken.
dargestellt. Aus Assisi die in der Oberkirche von S. Francesco befind-
liche Steinkanzel, die, selber bunt, sammt der ganzen, den architektonischen
Formen nicht allzu günstigen Buntfarbigkeit ihrer Umgebung, in farbigem
Drucke dargestellt ist. Mehrere italienische Kandelaber und der Taufstein
der Kathedrale von Girona bringen eine Anschauung üppiger Renaissance-
Dekoration, während England bunte (und zwar ebenfalls bunt gedruckte)
Fliesen, vom Fussboden der Abteikirche von Malvern, beigesteuert hat.
Die der Sculptur gewidmeten Blätter enthalten Gegenstände, welche für
die nähere kunstgeschichtliche Betrachtung nicht unwichtig sind. So zu-
nächst den, an seiner Vorderseite mit Reliefs versehenen Altar des Bapti-
steriums zu Asti, in Ober-Italien: eine grosse sitzende Christustigur in der
Mitte und acht kleine Heiligentiguren zu den Seiten. Die Arbeit scheint
der Zeit zunächst vor Nicola Pisano anzugehören und dürfte, falls die
Motive derselben im Stich nicht feiner ausgefallen sein sollten als beim
Original, selbst schon einen Zeitgenossen dieses Meisters bezeichnen. Bei
einem noch wenig entwickelten Gesammtgefühl für Form und Körper-
Verhältniss und bei grösserem Festhalten an dem Ueberlieferten machen
sich hier nemlich doch schon feingefühlte Einzelmotive bemerklich.
Eine Darstellung der Kanzel von S. Giovanni zu Pistoja, deren Sculpturen
der Nachfolge des N. Pisano angehören, giebt vorzugsweise das Bild der
dekorativen Gesammt-Anordnung und gestattet über die Sculpturen noch
kein sonderliches Urtheil. Die Reliefsculptur des Altares der Kirche zu
Avenas in Frankreich bewegt sich noch ganz in den alten roh romanischen
Elementen. Als höchst interessant dagegen und als eine wesentliche
Bereicherung unsres kunsthistorischen Materials müssen die Darstellungen
einiger der Sculpturen bezeichnet werden, die sich an dem Nordportal
der Kathedrale von Chartres befinden und von denen wir bis jetzt nur
erst ungenügende Nachbildungen bei Willemin besassen. Der germanische
Sculpturstyl zeigt sich hier allerdings (den architektonischen Elementen
der Kathedrale entsprechend) noch ganz in seiner primitiven Strenge; es
ist noch eine gewisse fast starre Würde in diesen Gestalten; aber die
feinfaltige Gewandungist dabei gleichwohl bereits mit gutem Verständniss
geordnet und auch, wie es scheint, bis auf einen gewissen Grad durch-
gebildet; der Ausdruck feierlicher Stille in den, zwar etwas conventio-
nell gebildeten Köpfen bezeichnet nicht minder eine selbständig thätige
künstlerische Richtung. Die Baldachine über den Köpfen der Statuen sind
ganz denen der frühgermanischen Statuen an den Domen zu Bamberg und
Naumburg ähnlich, als deren Vorgänger jene zu betrachten sind 1).
1) Das conventionelle Element in den Gesichtsbildungen der Statuen von
Chartres erscheint charakteristisch französisch und entspricht selbst der eigen-
thümlichen Bildungsweise, die man in später-französischen, unter dem Eintluss
der üandrischen Kunst gefertigten Miniaturen wahrnimmt. Einige andre Köpfe
an der Kathedrale von Chartres hat Hr. Merimee, der General-Inspector der histo-
rischen Denkmäler in Frankreich, formen lassen. Von diesen besitze ich einen
AbguSS. Deren beiindliches Ornament deutet hier noch bestimmt auf den Cha-
rakter der Uebergangsperiode. Dabei aber ist in dem Kopfe bereits, bis auf einen
gewissen Grad, eine so lebenvolle Weichheit, eine so edle, von dem Conventio-
nßllen zugleich schon so gereinigte Individualität, dass man weit eher geneigt
sein würde, die Arbeit etwa der griechisch-asiatischen Kunst des klassischen
AltarthumS, 815 118611 den bisherigen Erfahrungen der angedeuteten Periode
des Mittelalters zuzuschreiben. Und doch ist sie ein Werk derletzteren.