630
Berichte und Kritiken.
Aber welche Verschiedenheiten sind dennoch innerhalb dieses Gemein-
samen vorhanden: griechischer und römischer Geschmack; die verschie-
denartig conventionelle Behandlung, der das classische Element im italie-
nischen Mittelalter, je nach romanischen oder gothischen Intluenzen, doch,
allerdings unterliegen musste; die verschiedenartigen Formen der Renais-'
sance im Geiste eines Bramante und Luini, eines Raphael, eines Giulio
Romano u. s. w.! Ich möchte, so interessant diese Blätter in kunstge-
schichtlicher Beziehung sind, SO unschätzhar sie dem grossen Meister, der
berufen ist, der Kunst feste neue Bahnen vorzuzeiehnen, für sein Studium
sein müssen, ich möchte doch meinen leisen Zweifel aussprechen, ob
sie (wofür sie zunächst bestimmt sind) dem Schüler, dem Handwerker un-
bedingt als Muster und Vorlegehlätter dargeboten werden sollten. Es ist
in wie schöner Form auch, mit wie geistvollem Verständniss der Ori-
ginale, doch nur Electicismus.
Ich wurde meinen Zweifel vielleicht unterdrückt haben, ginge ich nicht
allerdings in meiner Ketzerei noch einen starken Schritt weiter. Ich meine,
dass Werke der Art, auch wenn völlige Gleichartigkeit des Geschmackes
in ihnen herrschte, uns vor der Hand noch gar nicht viel fruchten können.
Das Ornament ist die letzte Blüthe der räumlichen Kunst, aber sie hat
erst Leben und Sinn, wenn sie aus einem lebendigen Stamm hervorge-
wachsen ist. Dieser Stamm ist und kann nur sein: ein festes architektoni-
sches Bewusstsein. Ohne eine energische (von aller einseitigen Schul-
tradition gelöste) Durchbildung und Entwickelung der architektonischen
Formation, auf dem Grunde unsres heutigen gcsammten technischen Ver-
mögens und desjenigen geistigen Bedürfens, welches uns wahrhaft eigen-
thümlich ist, hängt alles, was zur Ausbildung der Ornamentik geschieht,
in der Luft. Man wird mir erwidern: "Das Eine thun und das Andre
nicht lassen." Ich antworte: Es kommt darauf an, wann das Eine ge-
than und das Andre nicht gelassen werden muss: es kommt darauf an,
dass man das Zweite nicht eher beginne, ehe man mit dem Ersten nicht in
der That den festen nachhaltigen Grund gelegt. Ja, die Bevorzugung des
Ornamentistischen vor der Ausbildung des eigentlich Architektonischen,
wie sie in unsern Jahren vielfach stattgefunden, scheint mir schliess-
lieh von sehr verderblichen Folgen. Der schmückende Theil der Kunst
wird dann nicht blos als ein zufälliger und willkürlicher behandelt: der
künstlerische Geist verklingt dann auch und verflüchtigt sich in diesen
Spielen einer nicht mehr wohlthätig gebundenen Phantasie, und statt des-
sen, was sie binden sollte, bleibt schliesslich nur ein kraftloser, zur wei-
teren Entwickelung unfähiger Bodensatz, nur cin architektonischer Un-
organismus zurück. Statt andrer Beispiele nenne ich hier nur, um mich
einfach auf geschichtlich Abgeschlossenes zu beziehen, S. Francesco in Assisi.
Dies Alles, ich wiederhole es, gilt durchaus nicht dem Grunerschen
Werke an sich, welches gewiss den Vergleich mit einem jeden ähnlichen
Unternehmen aushält, mit dem überhaupt nur wenige in Vergleich kommen
kömlßll- Aber Werke der Art fördern zunächst nur die äussere künst-
lerische Clllßllr. Mich aber dünkt: es sei vor Allem Sorge zu tragen, dass
eine glänzende äussere Cultur nicht innerer Leere oder Barbarei zur Hülle
diene. Mich dünkt: ungleich entschiedener sei für das Innere, das
Erste, zu sorgen.