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und
Berichte
Kritiken.
sehen hat es nemlich nicht begreifen können, das die überwältigende Wir-
kung der mittelalterlichen Dome einfach in ihrer künstlerischen Eigen-
schaft und der besonderen Weise der Realisirung dieser Eigenschaft be-
ruhe; sie haben absonderliche Geheimnisse darin erwartet, haben ein solch
Geheimniss auch wohl in dieser und jener Formel gesucht und gelegentlich
gemeint, dass der Besitzer der Formel es dem alten Meister ohne Weiteres
nachmachen könne. Der Verfasser spricht nun zunächst von den etwanigen
symbolischen Beziehungen, die dem Bau zu Grunde liegen könnten, und
weist aus den Schriftstellern des Mittelalters nach, dass allerdings davon
auch zu jener Zeit die Rede gewesen ist, aber mit sehr unschuldig müs-
sigen Gedankenspielen, die kaum nachträglich etwas von derartigen Bezie-
hungen in die Grunddispositionen des Baues hineingelegt, geschweige denn
auf die Formenbildung einen Eintluss ausgeübt haben. Dann kommt der
Verfasser auf den Mittelpunkt dieser dilettantisehen Phantasieen, auf-die
Bauhütten. Hier wird nun ausführlich dargethan, dass dies eben nichts
als die Stätten einfachen zünftigen Beisammenseins waren,'die nur, der
Natur der Sache nach, unter Umständen eine etwas strengere Ordnung
nöthig hatten. Die in moderner Zeit in diese Dinge hineingelegten frei-
maurerischen Träumereien und Fälschungen werden ausgeschieden und das
Wesen der Hüttengeheimnisse, abgesehen von denen, die auf polizeilichen
Gründen beruhten, als Dinge dargestellt, die einer noch sehr unbeholfenen
Geometrie eben nur eine leichtere praktische Handhabe gaben. Grund-
zahlen, Grundmaasse und Grundiiguren, Triangulatur und Quadratur er-
scheinen theils als ganz bedeutungslos, theils als äusserliche Schemata für
den Handwerker, am wenigsten aber als Schlüssel für das, was nur durch
den Geist erschlossen werden kann. Wir können hienach allen jenen
wüsten Dilettantismus wohl als völlig beseitigt ansehen und sind dem
Verfasser für das unerquickliche Geschäft solcher Wegereinigung zum auf-
richtigsten Danke verpflichtet. Es wird kaum noch zu einer Nachlese Ge-
legenheit und hoffentlich noch weniger Bedürfniss geblieben sein.
Das umfassende Schlusskapitel endlich (S. 335-417) ist der Plastik
und Malerei des Mittelalters gewidmet. Der Verfasser spricht zu-
nächst von der Technik, der, als einer traditionell aus dem Alterthum
überlieferten, vorerst die meiste Sorge zugewandt blieb. Nach einer Hin-
deutung auf das. bekannte Lehrbuch des Theophilus presbyter wird der
verschiedenen Gattungen der Technik, ihrer Ausübung und Verwendung
gedacht und in den Anmerkungen manche schätzbare Einzelnotiz beige-
bracht. Hierauf folgen Betrachtungen über den Styl der Darstellung.
Der Verfasser unterscheidet "drei Klassen: eines nrohen, strengen und freien"
Styles, den letzteren als zusammenhängend mit der gothischen Architektur,
wobei aber das Wort nfrei" mir bei weitem zu vielsagend erscheint, da auch
er entschieden noch unter der Botmässigkeit eines äusseren Gesetzes steht.
Der rohe und der strenge Styl sollen, gleichzeitig mit dem romanischen
Baustyl, nebeneinander hergehen. Ich möchte dem rohen nicht den Ehren-
namen eines Styles geben; ich wüsste als hieher gehörig wenigstens nur
verwilderte Nachklänge der verwilderten karolingischen Kunst, die hier
und da, aber nur selten, einem gewissen unwillkürlichen Naturgefühl zu
begegnen Scheinen, und ausserdem nur einzelne, gänzlich ungehobelte und
barbarische Handwerkerarbeiten zu nennen, was Alles aber nicht eben
Ansprüche auf Stylgeltung hat. Vorherrschend kenne ich in der bildenden
Kunst des Mittelalters nur die "byzantinisirende Strenge defromanischen,