Geschichte
der bildenden
Künste.
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partie oder an der Facade wird anschaulich entwickelt. Dann die
Structur des Inneren, mit der von Anfang an erkennbaren Richtung dessel-
ben auf das Gewölbe und zwar speciell auf das Kreuzgewölbe. Der Verf.
führt uns höchst einsichtig durch die verschiedenen Entwickelungsstadien
dieser eigenthümlichen Bauform himhQoh, bis dieselbe schliesslich aus
innerem Bedürfniss auch die Form des Spitzbogens ergiebt. Der Verf,
folgt hier der schon von Wiegmann gegebenen Auseinandersetzung über
die Entstehung des spitzbogigen Gewölbes. Ohne derselben entgegen zu
treten, wird aber doch auch das äussere Factum, welches dem inneren
Bedürfniss die erstrebte Form (den Spitzbogell) als eine SChOII fertige tra-
ditionell zuführte, nicht zu übersehen und nicht zu vergessen sein. Man
kann, und man muss meines Erachtens, an der Sache beide Beziehungen
geltend machen.
Sodann folgt eine nähere Charakteristik der beiden mittelalterlichen
Baustyle in ihren gesonderten Eigenthümlichkeiten. Zunächst die des ro-
manischen Styles. Ich kann hier nur bemerken, dass das Ganze in
seiner Weise so geistvoll, wie umfassend und belehrend durchgeführt ist.
Sehr treffend ist die innere Rhythmik des Raumes und das sich allmälig
entwickelnde Gesetz der Pfeilerbildung gegeben; fast zu geistreich das
Princip der Portalbildung und der an dem Aeusseren der Absis vorherr-
schenden Dekoration, fast mehr wie eine Anweisung für den schaffen-
den Künstler, denn als eine Charakteristik einer, in so vielfacher Beziehung
doch noch immer sehr befangenen Kunstepoche. Mit feinem ästhetischem
Sinne wird die Eckverzierung an _der Basis der romanischen Säule, die
'von der Plinthe zu dem unteren Wulste aufsteigt, oder sich von diesem
auf jene niedersenkt, erklärt, während zur Erklärung der bekannten Form
des abgestumpften Würfelkapitäles (deren Bedeutung mir nur in der Nai-
vetät des Ueberganges aus der Säulenform in die des massigen Bogens zu
beruhen scheint) vielleicht zuviel Scharfsinn aufgewandt ist. Der bekannte
Bogenfries wird, wohl etwas einseitig, von antiken Wand-Arkaden abgelei-
tet und als eine Abbreviatur derselben bezeichnet; ebensoviel Anspruch,
wenn auch bedingten, auf seine Vaterschaft könnte vielleicht das antike
Consolengesims machen, das-ihn bekanntlich auch an manchen südlichen,
z. B. südfranzösischen Gebäuden romanischen Styles, vertritt. Das Gebiet
der phantastischen Ornamentik des romanischen Styles wird einiger-
maassen mit Rücksicht auf die, hierin sehr systematisch schematisirenden
Franzosen und Engländer ziemlich genau durchgenommen. Es fehlt
dabei jedoch eine Besprechung der gleichzeitigen Farbenanwendung, die
nach den Erfahrungen, welche ich bei der Untersuchung romanischer Ge-
bäude gemacht habe, sehr umfassend und energisch gewesen sein muss,
was auch der ganzen ästhetischen und culturgeschichtliehen Stellung dieses
Styles entspricht. Im Uebrigen hätte ich gewünscht, dass es dem Verf.,
bei seiner grossen Belesenheit in den Quellenschriftstellern des Mittelalters,
gelungen wäre, über einige Eigenthümlichkeiten der romanischen Kirchen-
Anlage erschöpfenderen Aufschluss zu geben, als wir bis jetzt bßsitzefh
Namentlich rechne ich hieher die so ganz eigenthümliche Anlage der
Krypten, gegen deren auffallende Erscheinung wir vielleicht desshalb etwas
abgestumpft sind, weil wir sie in unsern" alten Kirchen so oft angesehen
haben, deren Zweck mir aber trotz Allem (zumeist freilich auch nur Hypo-
lhetischem), was bis jetzt darüber vorgebracht worden, keinesweges hin-