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Berichte und
Kritiken
über die ich schon kürzlich (in N0. 17 des KunstbL, oben, S. 601) eine
weitere Mittheilung gemacht hatte, zurückzukommen. Die gegenwärtige
Mittheilung gilt besonders der in der Jnhanniskirche zu Thorn in West-
preussen befindlichen Grabtafel, die dort vor dem Hochaltar, ihrer Conser-
vation nicht sehr zuträglich, im Fussboden liegt. Eine kurze Notiz über
ihr Vorhandensein und ihre künstlerische Beschaffenheit, die mir von
freundschaftlicher Seite zugegangen war, veranlasste mich, sie in meinem
Handbuch der Kunstgeschichte (S. 622 der zweiten Auflage) unter den
betreffenden Denkmälern mit aufzuführen. Eine grosse, in Stein gravirte
Abbildung der auf dieser Grabplatte enthaltenen Darstellung fällt mir so
eben in der "Geschichte Preussens" von J. Voigt in die Hände, mit deren
siebentem Bande (1836) sie als Nachtrag zum sechsten ausgegeben ist. Sie
ist dem Gedächtniss des im Jahre 1361 verstorbenen Thorner Bürgermei-
sters Johannes von Soest und seiner Gemahlin gewidmet und enthält die
grosse Darstellung beider Personen mit reicher architektonischer und figür-
licher Umgebung, die ganze Anordnung derjenigen höchst ähnlich, die sich
auf der Grabplatte der beiden Bischöfe im Dom zu Lübeck vom J. 1350
(in Mildes "Denkmälern der bildenden Kunst in Lübeck" herausgegeben)
vorfindet, dieselben reich dekorirten spitzbogigen Nischen, dieselben
Pfeiler zu den Seiten der Gestalten mit Heiligenfigürchen in Bilderblenden,
dieselben breiten tabernakelartigen Bekrönungen, in denen ganz auf gleiche
Weise die Seelen der Verstorbenen durch Engel, einerseits zu Christus,
andrerseits zu Maria, emporgetragen werden. Aber auch mit der schönen
Grabplatte des im J. 1357 verstorbenen Proconsuls Albert Hovener in der
Nicolaikirche zu Stralsund, über die ich in meiner Pommerschen Kunst-
geschichte (Kl. Schr., I,. S. 787) nähere Nachricht gegeben habe, hat sie eine
auffallende Aehnlichkeit. Abgesehen von der ebenfalls entsprechenden archi-
tektonischen Umgebung ist namentlich zu bemerken, dass die unter den Häup-
tern der Verstorbenen liegenden Kopfkissen ganz ebenso wie dort von kleinen
Engelgestalten gehalten werden, dass unter den Füssen des Bürgermeisters
ähnlich wie dort die, ohne Zweifel symbolisch zu deutenden Gestalten von
Thieren und wilden Männern sichtbar werden (während sich zu den Füssen
der Frau ein Eichhörnchen und Hündchen befinden), und dass der schmale
Bilderstreif unter beiden Gestalten ähnliche phantastische Darstellungen des
Lebens zu enthalten scheint. statt deren unter den beiden Lübecker Bi-
schöfen kleine legendarische Scenen vorgeführt sind.
Beide Hanptfiguren der Thorner Grabtafel erscheinen in reichem, sau-
ber durchgebildetem Kostüm: der Mann mit blossem lockigem Haupthaar
und ohne Bart, mit enganschliessender Unterkleidung und weitem, falten-
reichem Mantel, der über der rechten Schulter zusammengeheftct ist; die
Frau mit einer zierlich gestickten Schaube über dem langen Kleide, einem
von beiden Schultern seitwärts nicderhängenden Mantel und einer Art ele-
8311i gekrauster Haube. Der künstlerische Styl der ganzen Darstellung ist
entschieden der germanische der angedeuteten Epoche und scheint, gleich
08m der beiden Platten in Stralsund und Lübeck, ein Beispiel der vollen-
detSlen Durchbildung desselben zu enthalten. Leider giebt die genannte
Abbildung nicht hinreichende Gelegenheit, dies bis in die feineren Einzel-
hßite" z" Verfolgen, da der Zeichner offenbar nicht die Fähigkeit besass,
die Eigenthümlichkeiten desselben in völlig charakteristischer Weise wie-
derzugeben und sich sogar, ohne allen Zweifel in durchaus willkürlicher
Weise, veranlasst gesehen hat, der im Denkmal selbst nur im Umriss gra-